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Geht Christiania unter?

Der «Freistaat» Christiania, Kopenhagens weltberühmtes Sozialexperiment, steht vor dem Aus – zumindest in seiner bisherigen Form.

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Sozialexperiment oder Skandal? Die Siedlung Christiania in Kopenhagen besteht seit 38 Jahren – wie lange noch? Soeben hat das Oberlandesgericht das Nutzungsrecht über das 34 Hektaren grosse Gelände dem Staat zugesprochen und nicht den Bewohnern, die davon ausgegangen waren, sie hätten im Lauf der Jahrzehnte quasi ein Gewohnheitsrecht erworben. Jetzt müsse Christiania schleunigst normalisiert werden, fordert die dänische Rechte.

Doch so schnell geht nichts in Christiania, und so wird es auch diesmal sein. Das Urteil ist kein Schlussstrich unter die im Jahr 1971 erfolgte Besetzung eines ehemaligen Kasernengeländes, sondern die Einleitung eines neuen Kapitels in der unendlichen Geschichte der Hippie-Republik, die inzwischen als Symbol dänischer Toleranz zu einer Touristenattraktion vom Rang des Tivoli oder der Kleinen Meerjungfrau geworden ist.

Knud Foldschack, der Anwalt der 753 Christianitter, sieht im Gerichtsentscheid, obwohl dieser für seine Klienten eigentlich negativ ist, sogar einen «moralischen Sieg», weil die Richter viel Verständnis für die Argumente der Christianitter geäussert hätten. Dies gebe die Basis für den Weiterzug des Urteils an den Obersten Gerichtshof, meint Foldschack.

christiania

Strassenkunst in Christiania

Als Experiment anerkannt

Schliesslich ist es nicht das erste Mal, dass sich die dänische Justiz mit Christiania herumschlagen muss. Schon 1978, sieben Jahre nach der Besetzung und fünf Jahre, nachdem das Parlament den Freistaat offiziell als «soziales Experiment» anerkannt hatte, gab das höchste Gericht grünes Licht für die Räumung des Geländes.

Doch die Parlamentsmehrheit wünschte keinen Zwist. 1982 gab man den Christianittern ein unbegrenztes Gebrauchsrecht, das erst 2004 gekündigt wurde, als sich das gesellschaftliche Klima in Dänemark verhärtet hatte und Christiania als Haschisch- und Hehlerzentrale in Verruf gekommen war. Inzwischen ist die «Pusher-Street» von der Polizei geräumt worden, worauf sich allerdings der Drogenhandel über die ganze Stadt ausgebreitet hat und nicht mehr zu kontrollieren ist.

Auf dem Gelände Christianias sollten nach dem Willen der Regierung neue Wohnungen gebaut werden, die allen Interessierten offen stehen – jetzt kann nur in den Freistaat einziehen, wer von den angestammten Christianittern akzeptiert wird. Zudem würden die Bewohner fortan normale Mieten bezahlen – jetzt handelt es sich bloss um einen Kostenbeitrag.

Im Gegenzug versprachen die Politiker, die «lebensfähigen Elemente» des Modells zu bewahren. Der Vorschlag hatte auch in Christiania viele Anhänger, scheiterte aber dann in der Vollversammlung, wo nur einstimmige Entscheide gelten. «Marktgerechte» Mieten, offene Wartelisten und die Schleifung von fantasievollen (aber unter Missachtung aller Bauvorschriften errichteten) Häusern waren zu starker Tobak für die Alternativszene.

Gibt es nochmals eine Chance?

Jetzt appelliert die Opposition, man möge die Verhandlungen wieder aufnehmen, die während des Prozesses ausgesetzt waren. Christiania solle nicht «normalisiert» werden, kontert wiederum die Sozialdemokratin Christine Antorini, sondern «weiterentwickelt» unter grossem Einfluss der Betroffenen, damit das Sozialexperiment in neuer Form fortbestehen könne. Die Regierung sagt hingegen, mit ihrem Nein zum Kompromiss hätten die Christianitter ihr Mitspracherecht verwirkt. (Der Bund)

Quelle: http://www.derbund.ch/zeitungen/die_letzte/Geht-Christiania-unter/story/31986346