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Neuer Freihandelsfalke in der WTO

Mit dem ehemaligen Handelskommissar Pascal Lamy übernimmt am 1. September ein Vertreter europäischer Konzerninteressen den Posten des WTO- General- direktors. Während sich die Industriestaaten mehr Druck in den aktuellen Verhandlungen erhoffen, fürchten Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen weltweit die Rolle, die der Liberalisierungs-Falke bei der Durchsetzung von Freihandelspolitik gegenüber dem Süden spielen könnte.
Mit dem ehemaligen Handelskommissar Pascal Lamy übernimmt am 1. September ein Vertreter europäischer Konzerninteressen den Posten des WTO- Generaldirektors. Während sich die Industriestaaten mehr Druck in den aktuellen Verhandlungen erhoffen, fürchten Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen weltweit die Rolle, die der Liberalisierungs-Falke bei der Durchsetzung von Freihandelspolitik gegenüber dem Süden spielen könnte.
 

Neuer Freihandelsfalke in der WTO


Mit dem ehemaligen Handelskommissar Pascal Lamy übernimmt am 1. September ein Vertreter europäischer Konzerninteressen den Posten des WTO- General- direktors. Während sich die Industriestaaten mehr Druck in den aktuellen Verhandlungen erhoffen, fürchten Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen weltweit die Rolle, die der Liberalisierungs-Falke bei der Durchsetzung von Freihandelspolitik gegenüber dem Süden spielen könnte.
Mit dem ehemaligen Handelskommissar Pascal Lamy übernimmt am 1. September ein Vertreter europäischer Konzerninteressen den Posten des WTO- Generaldirektors. Während sich die Industriestaaten mehr Druck in den aktuellen Verhandlungen erhoffen, fürchten Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen weltweit die Rolle, die der Liberalisierungs-Falke bei der Durchsetzung von Freihandelspolitik gegenüber dem Süden spielen könnte.

Pascal Lamy: Karriere für den Freihandel
Als Manager neoliberaler Politik nahm der neue Generaldirektor der Welthandelsorganisation bereits auf zahlreichen Stühlen in den Schaltzentralen von politischen Apparaten und Wirtschaft Platz. Eine exzellente Ausbildung und bürokratische Raffinesse erwarb er als Absolvent der französischen Eliten-Kaderschmieden ENA (Ecole Nationale d’Administration) und HEC (Haute Ecole du Commerce). Später lernte er beim ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors auf der Klaviatur der Machtstrukturen der Kommission in Brüssel zu spielen. Als Generaldirektor der französischen Großbank Crédit Lyonnais nutze er seine Beziehungen nach Brüssel, um das schwächelnde Kreditinstitut mit umfangreichen Rettungshilfen der EU zu versorgen. Schließlich beeindruckte er mit Verfahrenstricks und Ermüdungsstrategien als Handelskommissar der EU-Kommission. Ab dem 1. September 2005 strebt er nun als Generaldirektor der WTO die Verbesserung der Welt nach den Spielregeln technischer Rationalität und ökonomischer Effizienz an.

Pascal Lamy: Handelsreisender in Sachen Konzerninteressen
Die europäische Kommission versteht sich in den WTO-Verhandlungen als Vertreterin der Interessen der großen europäischen Konzerne. In enger Abstimmung mit den etwa 1000 in Brüssel ansässigen Lobbyfirmen und -organisationen werden Positionen und Forderungen der europäischen Handelspolitik entwickelt. Die enge Zusammenarbeit zwischen der Generaldirektion Handel und Lobbyisten erfolgt sowohl über formelle als auch informelle Kanäle. Über die Politik der „revolving doors“ findet ein ständiger Personalaustausch zwischen EU-Bürokratie und der Privat- wirtschaft statt. Pascal Lamy z.B. arbeitete von 1994 bis 1999 bei der französischen Bank Crédit Lyonnais und war später als Handelskommissar
über die GATS-Verhandlungen auch für den Bereich der Liberalisierung von Finanzdienstleistungen zuständig.
Während er WTO-Ministerkonferenz im mexikanischen Canc?n 2003 zeigte Pascal Lamy sich als aggressiver Vertreter der Agenda europäischer transnationaler Unternehmen – auch gegen die Einwände von EU-Mitgliedstaaten – und trug mit seiner harten Position damit wesentlich zum Abbruch der Verhandlungen bei.
Im Vorfeld der Ministerkonferenz hatten die europäischen Konzern-Lobby-Verbände vehement auf die Aufnahme der vier Singapur-Themen in den Verhandlungsprozess gedrängt. Selbst als sich in Canc?n bzeichnete, dass die Ministerkonferenz kurz vor dem Abbruch stand, pochte Pascal Lamy bei den EU-Mitgliedstaaten auf ihre Verpflichtung gegenüber der Business-Agenda. Zwar schlug die britische Handelsministerin Patricia Hewitt am Vorabend des Scheiterns vor, nicht länger auf den Verhandlungsbeginn zu einem Investitionsabkommen zu drängen, Lamy jedoch beharrte darauf, dass sowohl UNICE als auch die Confederation of British Industry die Aufnahme von Gesprächen über ein Investitionsabkommen gefordert hätten. Deshalb müsse der gleichzeitige Verhandlungsbeginn über alle vier Singapur-Themen - inklusive Investitionen – EU-Position bleiben.(1) Erst am Morgen des letzten Konferenztages, als sich der Abbruch der Verhandlungen bereits abzeichnete, gab Pascal Lamy in diesem Punkt nach.
Ein Jahr später erläuterte Pascal Lamy in einem Interview mit der Jakarta Post vom 9.September 2004, wie er den Kurs der EU- Außenwirtschafts- beziehungen beurteilt:
„Europäische Handelspolitik ist wie ein Öltanker: Sie ist schwer beladen, solide gebaut und nicht sonderlich flexibel. Ihre Richtung ist nicht leicht zu ändern, dafür äußerst konstant und vorhersehbar, so dass kein Risiko besteht, dass sich Positionen, welche von der amtierenden Kommission eingenommen werden, plötzlich ändern. Die Faktoren, welche die europäische Handelspolitik bestimmen, sind relativ konstant. Hier und da mag es Abweichungen geben, aber die geopolitischen Linien ändern sich nicht.“ (2)
Unabhängig von (tages-)politischen Konjunkturen bestimmt die aggressive Exportorientierung transnationaler Konzerne die Marschrichtung. Wie zentral die Vorgaben der Industrie sind, erläuterte Pascal Lamy in Vorfeld der Ministerkonferenz von Canc?n in einer Rede vor der Generalversammlung der Vereinigung der Ernährungsindustrien der EU am 19. Juni 2003 in Brüssel:
„[...] da die Ernährungsindustrie über das seltene Privileg verfügt, dass sich drei Kommissionsmitglieder mit ihr befassen, nämlich Franz Fischler auf dem Gebiet der Landwirtschaft, da die Verarbeitungserzeugnisse Landwirtschaftliche Zolltarifpositionen haben, Erkki Liikanen auf dem Gebiet der Industrie, da dieselben Produkte im Binnenmarkt Industrie- erzeugnisse darstellen, und ich selbst im Rahmen meiner Zuständigkeit für die Fragen des internationalen Handels. Angesichts dieser Vorzugs- behandlung ist es nur natürlich, dass Ihre Industrie gute Beziehungen zur Kommission pflegt (ich hoffe, ich irre mich nicht), und dieses ein wenig komplizierte System hat einen Vorteil: Es bringt Sie dazu, sehr klare Positionen in Handelsfragen zu vertreten, da Ihnen bewusst ist, dass Ihr Gewicht gegenüber ihren drei Gesprächspartnern wächst, wenn Sie sich einig sind. Dank dieser klaren Positionen wissen wir Verhandlungsführer, welche Richtung wir einschlagen sollten. Und Ihre Unterstützung bzw. Ihre Position stärken die unsere, selbst wenn die europäische Position den Standpunkt der Industrie natürlich nicht immer zu 100% widerspiegeln kann.“(3)

Entwicklungsrhetorik als Deckmantel für Freihandelspolitik
Der 58-jährige Franzose lässt sich als Hoffnungsträger für die Entwicklungsländer feiern. Schließlich versteht er sich darin, sich scheinbar auf deren Bedürfnisse einzulassen. Mit der Initiierung der „everythig but arms initiative“ der EU-Kommission im Jahr 2001, die zollfreien Handel der ärmsten Länder mit der EU verankerte,(4) verschaffte er sich den Ruf eines Verhandlungsführers, der sich um die Belange der ärmeren Ländern kümmert. Sein übriges Handeln spricht allerdings eine andere Sprache. Die Fortführung der Doha-Runde, also das Verfolgung der allumfassenden Liberalisierung der Weltwirtschaft, sieht er als „first, second and third priority”.(5)
Rhetorisch durchaus geschickt gibt er als Ziel zwar vor, die Interessen der Entwicklungsländer in Zentrum der WTO rücken zu wollen,6 tatsächlich arbeitete er nach dem Scheitern von Canc?n zielstrebig darauf hin, die Gruppen der Entwicklungsländer zu schwächen und zu spalten. Insbesondere während der Verhandlung zum so genannten Juli-Abkommen im Jahre 2004 unterminierte er den Zusammenhalt der G20 und marginalisierte die G90.
Bei einer Befragung der Kandidaten durch zivilgesellschaftliche Organisationen für den WTO-Generaldirektorposten im Januar 2005 gab er dann auch unmissverständlich zu verstehen, dass für Menschenrechte andere Organisationen zuständig seien. Grundsätzlich ist er weiterhin davon überzeugt, dass freier Handel allein die Ungleichheiten in der internationalen Handelspolitik auszugleichen vermag: „trade opening and reducing trade barriers, has been, remains, and will remain, essential to promote growth and development, to improve standards of living and to tackle poverty reduction“.(7)

Pascal Lamy und Lebensmittel: am besten manipuliert!
In der Tat erwies sich Lamy in der Vergangenheit als konsequenter Vertreter der Interessen der europäischen Nahrungsmittelindustrie. Entgegen dem EU-Moratorium, das den Mitgliedsstaaten erlaubt, Einfuhrverbote für GMO-Produkte (Gentechnisch modifizierte Organismen) auszusprechen, versuchte er zu Beginn seiner Amtszeit als EU-Kommissar gemeinsam mit den USA über eine bei der WTO angesiedelte Kommission die Durchsetzung von GMO-Produkten voranzutreiben. Der Vorstoß, der bei anderen Kommissionsmitgliedern und vielen Mitgliedsstaaten auf Widerstand stieß, hätte bedeutet, dass die sich WTO zukünftig um die Regulierung des Handels mit GMO-Produkten kümmern würde und somit nationalstaatliche Beschränkungen zum Schutz der Menschen unmöglich gemacht worden wären. Pascal Lamy steht strikter Regulierung, Kennzeichnung und Ausstattung mit Herkunftsnachweise von GMO-Produkten ablehnend gegenüber.(8) Mit dieser Position setzt sich Pascal Lamy in Widerspruch zu etwa 80% (9) der Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union, die gentechnisch veränderte Produkte ablehnen.
Auch nach dem Scheitern seines Vorstoßes verfolgte Lamy in den folgenden Monaten eine GMO-freundliche Handlung. Vor der Unterzeichnung der Doha-Erklärung beruhigte er seinen Duz-Freund Robert Zoellick, den damaligen amerikanischen Handelsbeauftragten, in einem Brief:
„Sie haben mich wissen lassen, dass Ihre Regierung bezüglich des Handels mit Biotechprodukten und der Umsetzung der handelsbezogenen Aspekte der geltenden und künftigen multilateralen Abkommen zur Biosicherheit in tiefer Sorge sei, und haben dabei auch die Befürchtung geäußert, Europa könnte die in Doha beschlossenen Ergebnisse nutzen, um illegitime Handelsbarrieren zu rechtfertigen. Dazu wird es nicht kommen. Des Weiteren möchte ich Ihnen versichern, dass ich die Verhandlungsergebnisse nicht dazu nutzen werde, die hinsichtlich des Vorsorgeprinzips in der WTO geltende Balance von Rechten und Pflichten zu modifizieren.“(10)

Pascal Lamy und die internationale Zivilgesellschaft: Ignorieren und Täuschen
Seine erste WTO-Ministerkonferenz als EU-Handelskommissar erlebte Pascal Lamy in Seattle, wo geschickte NGOs in den Konferenzräumen und massive Proteste auf den Straßen mit zu dem spektakulären Abbruch der erhandlungen beitrugen. Seattle symbolisierte die Geburt der globalisierungskritischen Bewegung. Als Reaktion auf diese Ereignisse begann die Generaldirektion Handel unter seiner Ägide eine formelle Struktur für so genannte Konsultationen mit der Zivilgesellschaft zu etablieren,(11) die die bisherigen sporadischen ad hoc Gespräche ablösen sollte. Ebenso betont Lamy in öffentlichen Reden die Notwendigkeit für Transparenz bei der WTO:
„Keeping the doors closed is self-defeating for the WTO“, lässt er verlauten. “It feeds the unfounded paranoia about the WTO that prevails among the anti-globalists, the hard-core protectionists, and all the others in the world who oppose all that the Members of the WTO are trying to accomplish as the WTO.” (12)
Tatsächlich erweist sich die Einrichtung der „Dialogangebote“, sowohl der EU als auch der Welthandelsorganisation selbst, als lediglich taktisches Manöver, um einen Schein von Offenheit zu wahren und damit Legitimität herzustellen. Der Informationsgehalt der Veranstaltungen geht nicht über das hinaus, was über Websites und Medien sowieso öffentlich zugänglich ist. Lamy aber ist ein Meister darin, für die Möglichkeit von zivilgesellschaftlicher „Teilhabe“ zu werben:
„I therefore launched an unprecedented public consultation process with all stakeholders [...]. I was pleased to see strong public interest that was shown in response to the consultation and which resulted in more than 3000 submissions to the Commission.”(13)
Von einem Dialog aber kann keine Rede sein; kritische Positionen von NGOs und sozialen Bewegungen zur EU-Handelspolitik werden ignoriert, und mit folgenlosen Aktionen und Briefings wird Offenheit vorgetäuscht.
Der trügerische Schein eines „Hoffnungsträgers“ Die euphorischen Reaktionen bei Vertreten der Industrie und den Staaten des Nordens auf die Wahl Lamys offenbaren die strukturelle Krise der WTO: Lamy wird in der medialen Öffentlichkeit als geschickt und smart beschrieben. Ein Hoffnungsträger wird aufgebaut, von dem aufgrund zugeschriebener persönlicher Qualitäten angenommen wird, er könnte die Interessens- unterschiede, die durch das Scheitern der Ministerkonferenzen in Seattle und Canc?n angezeigt wurden, überbrücken. Aber die Konflikte zwischen Nord und Süd, zwischen Agrarexporteuren und Agrarimporteuren sind weiterhin existentiell. Der scheinbare „Hoffnungsträger“ der kommenden Verhandlungen wird auch von Ramon Bultron von der Hong Kong Peoples' Alliance als Gefahr für die Länder des Südens eingeschätzt:
“It is a great disappointment for peoples and countries of the South for Pascal Lamy to become the new Secretary General of the WTO. As the chief representative of the European Union, he has shown not only a consistent
bias for EU and Northern interests to the disregard of developing country concerns, but he has also shown that he does not consider, in the interest of fair play, the concerns and rights of Southern countries. It is difficult to expect that any reform can be instituted in the WTO under his leadership, but instead the situation could become far worse with more devastating consequences for the poor of the world.”(14)
Die Chancen für eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung in der Amtszeit von Pascal Lamy stehen also mehr als schlecht. Mit seinem überzeugten Festhalten am Freihandelsprinzip und seiner politischen Orientierung entlang von Konzerninteressen wird der neue Generaldirektor für eine Zementierung und Verschärfung weltweiter sozialer Ungleichheiten einstehen.
Die WTO bedroht soziale Rechte. Deshalb arbeitet Attac gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen aus aller Welt auf ein Platzen der Ministerkonferenz in Hong Kong hin.
Berlin, August 2005


1 Action Aid, 2004, Divide and rule, S. 22
2 Pascal Lamy in der Jakarte Post, 9. September 2004.
Pascal Lamy – Freund der Unternehmer
3 Hervorhebung durch die AutorInnen; vgl.  http://europa.eu.int/comm/archives/commission_1999_
2004/lamy/speeches_articles/spla173_de.htm
4 www.weltpolitik.net/Sachgebiete/Europ%E4ische%20Union/Politikfelder/Wirtschaft-%20und%20W%
E4hrung/Analysen/Pr%E4ferenzielle%20Handelsabkommen%20der%20EU%20mit%20Entwicklungsl%E4ndern.html
5  http://www.wto.org/english/news_e/news05_e/stat_lamy_26may05_e.htm
6 ebd.
7  http://www.wto.org/english/thewto_e/dg_e/stat_lamy_e.htm
8  http://www.corporateeurope.org/hallofshame/tabd.html
9  http://www.genug-wto.de/img/Flyer_Endversion.pdf
10 Brief von EU-Kommissar Pascal Lamy an den Handelsbeauftragten Robert Zoellick, Doha, 14. 11. 2001, Inside U.S.
Trade 19 (4), Washington, November 2001.
11 Bridges, Volume 8, Number 4, 2004
12 Bridges, Volume 8, Number 4, 2004
13  http://europa.eu.int/comm/trade/services/rpldda_en.htm
14 Ramon Bultron, Hong Kong Peoples' Alliance, 30.08.2005