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Der Widerstand gegen Nepals K?nig nimmt zu

Das Volk demonstriert zivilen Ungehorsam

In Nepal wächst der Widerstand gegen den despotisch herrschenden König. Das Volk scheint politisiert wie nie zuvor. Ein von den Parteien ausgerufener Generalstreik legte das ganze Land lahm.
 
Katmandu, Ende Januar

An diesem sonnigen Wintermorgen kommt einem Katmandu vor wie ein verschlafenes Nest. Die politischen Parteien und verschiedene Organisationen der Bürgergesellschaft haben einen sogenannten Bandh ausgerufen, einen landesweiten Generalstreik, kombiniert mit einem Fahrverbot für alle motorisierten Vehikel. Die sonst durch den Verkehr chronisch verstopfte Innenstadt würde ohne Autos und Motorräder friedlich wirken, stünden nicht an jeder Strassenecke schwerbewaffnete Soldaten und Polizisten.

Eindrückliches Muskelspiel

Im Stadtzentrum sind fast alle Geschäfte geschlossen. Nur ein paar kleine Lebensmittelläden und Kioske verkaufen Tee, Snacks und Zigaretten. Auf dem Gehsteig bietet ein Velomechaniker seine Dienste an. Er hat alle Hände voll zu tun, denn Fahrräder sind an diesem Tag das einzige Fortbewegungsmittel, und jeder, der eines besitzt, scheint damit unterwegs zu sein. Auch die Fahrrad-Rikschas haben Hochbetrieb. Sie werden sonst kaum mehr benutzt und verkehren nur noch in der Altstadt, doch an diesem Tag sind die langsamen Dreiräder zu begehrten Transportmitteln mutiert.

In der vergangenen Woche hatten die Parteien mehrere Grossdemonstrationen abgehalten, und es war zu schweren Angriffen und Bombenanschlägen der Maoisten gekommen. Doch obwohl an diesem Tag erneut gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie Anschläge befürchtet werden, strömen die Hauptstädter in Scharen auf die Strasse. Die Nepalesen scheinen sich an Gewalt und Ausnahmezustand gewöhnt zu haben. Es herrscht fast schon eine Art Volksfeststimmung. Hunde haben die Strasse erobert und liegen faul mitten auf der Fahrbahn. Kinder spielen Cricket. Ein paar Jugendliche lungern gelangweilt vor dem Sportstadion herum. Die Erwachsenen schlendern derweil gemächlich durch die Stadt. Man diskutiert über den Bandh und erkundigt sich, wie die Lage in anderen Stadtteilen ist.

Üblicherweise werden Streiks und Blockaden von den Maoisten verordnet und mit Gewalt durchgesetzt. Dieser Bandh ist einer der ersten, die von der politischen Opposition ausgerufen wurden. Zwar üben wohl auch die Anhänger der Parteien Druck auf diejenigen aus, die sich nicht am Streik beteiligen. Doch scheint die Bevölkerung heute mehrheitlich freiwillig zivilen Ungehorsam zu demonstrieren. Kaum je wurde ein Generalstreik so entschieden befolgt. Und dies nicht nur in Katmandu, sondern landesweit. Wie wir aus dem Radio erfahren, steht ganz Nepal an diesem Tag still.

Schärferes Profil der Parteien

Der Adressat des Streiks ist König Gyanendra. Vor einem Jahr hatte der Monarch in einer Art königlichem Putsch die Regierung entlassen und die Macht selbst übernommen. Vorerst hatte er viele Nepali hinter sich, da man glaubte, der König sei eher als die Politiker des Landes in der Lage, dem maoistischen Aufstand ein Ende zu setzen. Doch diese Hoffnungen wurden bald zerschlagen. Die Sicherheitslage ist weiterhin prekär, und der Wirtschaft geht es miserabel. Zudem hat der Palast im Kampf gegen die Maoisten weder politisch noch militärisch etwas erreicht. Er konzentrierte sich vielmehr darauf, die demokratischen Kräfte des Landes mit aller Gewalt zu unterdrücken. Vor einem Jahr waren diese noch wenig beliebt. Zwölf Jahre nach der Einführung der Demokratie galten die politischen Parteien als korrupt und hoffnungslos zerstritten. Im letzten Jahr haben sie jedoch an Profil gewonnen, indem sie sich zusammenrauften und ein Abkommen mit den Maoisten unterzeichneten. Wie das heutige Muskelspiel zeigt, sind die Parteien mittlerweile in der Lage, weite Teile der Bevölkerung zu mobilisieren. Die Nepalesen scheinen politisiert wie nie zuvor.

Oppositionsführer unter Hausarrest

Am Nachmittag dieses Tages besuchen wir Madhav Nepal, den Vorsitzenden der Communist Party of Nepal (Unified Marxist-Leninist), der momentan unter Hausarrest steht. Im Vorfeld einer geplanten Demonstration gegen die vom König angesetzten Kommunalwahlen am 8. Februar sind in der vergangenen Woche Hunderte von Oppositionellen verhaftet und die Vorsitzenden der beiden wichtigsten Parteien, des Nepali Congress und der Communist Party, unter Hausarrest gestellt worden. Nepals Haus ist von Sicherheitskräften umstellt. Am Tag zuvor waren wir von einem jungen Burschen in Uniform abgewiesen worden, an diesem Tag darf Nepal plötzlich doch Gäste empfangen. Seit den Massenfestnahmen seien immer noch rund 200 Mitglieder seiner Partei in Haft, erklärt Nepal. Die royalistische Regierung gehe momentan massiv gegen Politiker, Gewerkschafter, Intellektuelle und Journalisten vor. Diese Unterdrückungspolitik werde aber an Grenzen stossen, denn die demokratische Bewegung habe längst auf das Volk übergegriffen und könne nicht mehr gestoppt werden. «Wie viele Leute können sie denn verhaften? Einige hundert vielleicht, aber nicht Tausende und schon gar nicht das ganze Volk», meint Nepal zufrieden lächelnd.

Wenn der König die Kommunalwahlen nicht absage, werde die Protestbewegung weiter intensiviert, erklärt der linke Politiker. Die Parteien hätten lange genug versucht, sich mit dem Palast zu arrangieren. Dadurch hätten sie ihre Glaubwürdigkeit verloren. Es liege bei den Nepalesen zu entscheiden, ob sie eine Monarchie oder eine Demokratie wollten, und die Stimmung im Volk habe sich im vergangenen Jahr radikal geändert. «Das Ende dieses Regimes ist nur noch eine Frage der Zeit», sagt Nepal. «Es wird vor allem von den Sicherheitskräften abhängen, wie lange sich der König noch halten kann. Die Armee muss sich entscheiden, ob sie auf der Seite des Volkes oder auf der Seite eines die Verfassung missachtenden Alleinherrschers stehen will.»

Auf die neuen Verbündeten angesprochen, meint Nepal, es werde sich bald zeigen, ob die Maoisten wirklich an einer demokratischen Lösung interessiert seien. Da es ohne die Maoisten, die weite Teile des Landes kontrollierten, aber keinen Frieden geben könne, müsse man dieses Risiko eingehen. Die kommunistischen Rebellen haben sich im vergangenen Jahr durch ihr Abkommen mit den Parteien und durch einen einseitig ausgerufenen Waffenstillstand geschickt neu positioniert. Da der König nicht auf das Angebot einging, beendeten sie den Waffenstillstand nach vier Monaten zwar wieder, doch haben die Rebellen damit Sympathien gewonnen. Diplomaten und politische Beobachter in Katmandu sind überzeugt, dass es die Maoisten mit ihrem Friedensangebot ernst meinen. Die Rebellen wüssten, dass der Konflikt militärisch nicht gelöst werden könne, und seien ehrlich an einer politischen Lösung interessiert, sagt Padma Ratna Tuladhar, ein Politiker und Menschenrechtsaktivist, der 2003 erfolglos zwischen dem Königshaus und den Maoisten vermittelt hatte. Der König sei heute das grösste Hindernis für einen Frieden. Davon ist auch Krishna überzeugt, der an der New Road einen Stand mit Getränken aufgestellt hat. Er unterstütze den Bandh an diesem Tage voll und ganz, betont er. Er arbeite zwar, doch tue er dies nur, um die Leute, die es auf die Strasse dränge, zu unterstützen. Padma, die neben Krishna auf dem Gehsteig Orangen verkauft, stimmt ihm zu. Sie habe den früheren König Birendra sehr geschätzt, sagt sie. Doch seinem Bruder Gyanendra gehe es nur um die Macht. Das Volk müsse deshalb Widerstand leisten und den König in seine Schranken weisen.

Entscheidende Rolle der Armee

Auf der anderen Strassenseite liegt eine Gruppe Soldaten in einer Blumenrabatte. Die jungen Männer wirken entspannt, doch wie die letzten Wochen gezeigt haben, sind sie im Ernstfall durchaus bereit, mit Schlagstöcken und auch Schusswaffen gegen das aufmüpfige Volk vorzugehen. Vor fünf Jahren zählte die nepalesische Armee rund 40 000 Soldaten. Heute sollen es zusammen mit der neu gebildeten bewaffneten Polizei gegen 200 000 sein. Allein in und um Katmandu sind derzeit 60 000 Sicherheitskräfte stationiert. Solange der König auf sie zählen kann, wird sich an der politischen Lage im Land trotz den eindrücklichen Demonstrationen kaum etwas ändern.
 
Quelle: NZZ-Online, 31.1.06