Newswire
Neonazis leisten ungehindert Militärdienst
Read more...
Communiqué von A-Perron zum Angebot der Stadt Thun
Read more...
Thun schafft Freiraum für die Jugend
Read more...
Communiqué zum Nächtlichen Tanzvergnügen 2.0
Read more...
Spur der Neonazimorde führte in die Schweiz
Read more...
Veröffentlichen
> News eintragen
> Termin eintragen
> Link melden
Die Grossmacht in Ohnmacht
Freitag, den 27. Oktober 2006 um 12:54 Uhr
Grossbritannien und Frankreich versuchten 1956 im Suez-Krieg, ihren Status als Grossmäche mit Waffengewalt zu retten. Das Rad der Zeit hatte sich jedoch schon längst weitergedreht. Auf Israel war Verlass. Wie mit Grossbritannien und Frankreich verabredet, hob die israelische Luftwaffe am Abend des 29. Oktober 1956 zum Angriff auf Ägypten ab.Bereits am 1. November trafen die ersten Truppen am Suez-Kanal ein, am folgenden Tag befand sich fast die gesamte Sinai-Halbinsel unter israelischer Kontrolle. Mittlerweile waren auch die anderen Autoren des gemeinsamen Drehbuchs ihrer Rolle nachgekommen. Am Tag nach dem Angriff stellten London und Paris den beiden Kriegsparteien ein Ultimatum, welches für Ägypten unannehmbar war. Unter dem Vorwand, die feindlichen Armeen trennen und den Frieden wiederherstellen zu wollen, besetzten britische und französische Truppen bis am 6. November weite Teile des Suez-Kanals. Was zunächst als leicht errungener militärischer Sieg schien, sollte sich für die ehemaligen Kolonialmächte jedoch bald als diplomatisches und wirtschaftliches Desaster entpuppen.
Nasser: Der gemeinsame Feind Gamal Abdel Nasser war der Mann, der Israelis, Franzosen und Briten zum geheimen Angriffsplan veranlasst hatte. 1954 in Ägypten an die Macht gekommen, hatte er zwei erklärte Ziele: Einerseits wollte er die arabische Welt unter seiner Führung einen, unter anderem, um die Juden aus Palästina zu vertreiben. Andererseits wollte er Ägypten zu einem unabhängigen und modernen Staat machen. Bereits 1948/49 hatte Nasser als Oberst am erfolglosen Feldzug der arabischen Staaten gegen das eben gegründete Israel teilgenommen. Um den prekären Waffenstillstand nicht zu gefährden, beschlossen daraufhin die USA, Grossbritannien und Frankreich, keinem Staat des Nahen Ostens Offensivwaffen zu liefern. Als es Nasser 1955 gelang, von der Tschechoslowakei ebensolche Waffen zu kaufen, lag für Israel auf der Hand, dass ein erneuter Krieg unabwendbar geworden war. Die Frage war nur, wer zuerst angreifen würde. Das Waffengeschäft mit dem sowjetischen Satellitenstaat belastete auch Ägyptens Beziehungen zum Westen. Es herrschte der Kalte Krieg. Nasser suchte von dieser Konstellation zu profitieren.
Ein zentrales Element seines Modernisierungsprogramms war der gigantische Assuan-Staudamm am Nil, der Ägyptens Stromversorgung sichern würde. Auf der Suche nach Investoren wandte sich Nasser erneut, wie schon beim Rüstungsgeschäft, an Ost und West. Im Juli 1956 wurde ihm klar, dass er dieses Mal weder hüben noch drüben Gehör finden würde. Also liess er am 26. Juli den Suez-Kanal besetzen und verstaatlichen. Dessen Ausbeutung sollte endlich Ägypten zugute kommen. Aus Frankreich und Grossbritannien schlug Nasser blanke Empörung entgegen. Obwohl die letzten Truppen wenige Wochen zuvor heimgekehrt waren, empfanden die Briten Ägypten und insbesondere den Kanal nach wie vor als ihr Einflussgebiet. Dies umso mehr, als der Kanal mehrheitlich ihnen gehörte. Die übrigen Aktien waren in französischem Besitz. In Frankreich verband sich die Wut über die Zwangsenteignung mit jener über Nassers Rolle in Algerien. Seit rund zwei Jahren tobte dort ein brutaler Krieg zwischen der Armee und dem Front de Libération Nationale. Paris war überzeugt, dass Nasser den FLN mit seiner anti-westlichen Politik unterstützte. Im Rückblick erstaunt, wie rasch die militärische Intervention für Frankreichs Ministerpräsident Guy Mollet und seinen britischen Kollegen Anthony Eden beschlossene Sache war.
Planungen für ein gemeinsames Expeditionskorps wurden noch Ende Juli aufgenommen. Es war der Reflex zweier alter, in Auflösung begriffener Imperien, die zwei Zeichen der Zeit nicht erkannten, nicht erkennen wollten: Die nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Entkolonialisierung war zum einen Ausdruck eines generellen Legitimationsschwunds der kolonialistischen Idee. Und zum anderen erfolgte sie aufgrund von globalen Machtverschiebungen. Die Welt wurde nicht mehr von London und Paris, sondern von Washington und Moskau aus gelenkt. Die Geheimabsprache mit Israel Es war denn auch der Abneigung der USA gegenüber einem militärischen Konflikt zuzuschreiben, dass Frankreich und Grossbritannien – zumindest dem Schein nach – bis Ende Oktober eine diplomatische Lösung verfolgen mussten. Aussenminister John Foster Dulles befürchtete, ein Krieg werde den Bruch zwischen dem Westen und den blockfreien Staaten im Allgemeinen, der arabischen Welt im Besonderen nach sich ziehen. Hinzu kam, dass in diesen Monaten die Polen und Ungarn immer lautstärker ihre Unabhängigkeit von der Sowjetunion einforderten – was ganz im Sinne der USA war. Würden nun die westeuropäischen «Klassenfreunde» in Ägypten ihre Interessen mit Gewalt durchsetzen, käme dies für den «Klassenfeind» einer Legitimierung gleich, in seiner Einflusssphäre genau dasselbe zu tun. Premier Eden stand vor einem Dilemma. Noch ganz der Idee des Empire verpflichtet, wollte er die Provokation Nassers nicht hinnehmen. Doch ebenso wenig konnte er die «special relationship» mit den USA riskieren.
Ein rechtlicher Interventionsgrund musste her. Und den sollte Israel liefern. Der Vertrag von 1954, in welchem sich Grossbritannien zum Abzug aller Truppen verpflichtet hatte, enthielt eine Klausel, welche eine erneute Besetzung des Kanals im Falle von Feindseligkeiten im Nahen Osten rechtens machte. Die Israelis waren seit Nassers Rüstungskäufen von 1955 zu einem Präventivschlag entschlossen. Die Franzosen lieferten ihnen die dazu notwendigen Waffen. Im Gegenzug erhielten die Briten (und ihr französischer Alliierter) die Legitimation zur Intervention. Die von London und Paris gestellten Bedingungen für einen Waffenstilland, der Rückzug der beiden Kriegsparteien auf je zehn Kilometer Distanz vom Suez-Kanal, würde Nasser nie und nimmer annehmen. So gerissen der Plan war, so geheim musste er bleiben. Nur einzelne Mitglieder der jeweiligen Regierungen und Armeespitzen wurden in das am 24. Oktober 1956 unterzeichnete «Protokoll von Sèvres» eingeweiht. Auf den israelischen Angriff vom 29. Oktober reagierten die USA bestürzt, auf das Ultimatum und die Intervention der Alliierten mit Zorn.
Dieser war umso grösser, als der Suez-Krieg der westlichen Empörung über die gleichzeitige Unterdrückung des Ungarn-Aufstands einen Teil ihrer Kraft nahm. Einmal mehr wurde die Uno zur Ringkampf-Arena der Supermächte. Die USA beklagten die ungarische Tragödie, die Sowjets ereiferten sich über Suez. Doch während Moskau eine Verurteilung durch die Uno zu verhindern wusste, war Washington nicht gewillt, London und Paris zu verschonen. Bis sie weich werden... Damit war der Weg frei für den Beschluss der Uno-Vollversammlung, die Kriegsparteien zum Waffenstillstand aufzufordern und Blauhelme zu entsenden. Tatsächlich ruhten die Waffen ab dem 7. November. Doch wollten sich die Alliierten nur unter gewissen Bedingungen zurückziehen. Das diplomatische Seilziehen zog sich hin. Erst am 3. Dezember kündigten die Alliierten den bedingungslosen Rückzug an, der am 22. Dezember 1956 abgeschlossen wurde. Auch die israelische Armee zog sich zurück, nachdem sie ihr Ziel, die Vernichtung von Nassers Angriffspotenzial, innerhalb weniger Tage erreicht hatte. Es war jedoch weniger der diplomatische als vielmehr der wirtschaftliche Druck, der die Alliierten letztlich zur Räson brachte. Das Pfund war neben dem Dollar die Leitwährung der internationalen Devisenmärkte. Dieser Status war, ebenso wie die militärische Präsenz im Ausland, auf Grossbritanniens Anspruch zurückzuführen, nach wie vor eine Grossmacht zu sein. Doch zeichnete sich bereits vor der Suez-Krise ab, dass die britische Wirtschaft diesem Anspruch nicht gewachsen war. Das Pfund geriet aufgrund der Defizite in Zahlungsbilanz und Staatshaushalt immer stärker unter Abwertungsdruck. Einzig die USA waren in der Lage, den unmittelbar bevorstehenden Kollaps abzuwenden. Und auch die Erdölknappheit, die im November ganz Westeuropa erfasste, konnte nur von ihnen kurzfristig überwunden werden.
Die Weigerung Präsident Eisenhowers, britische Vertreter zu empfangen, geschweige denn ihnen aus der Patsche zu helfen, solange sich britische Truppen in Ägypten befanden, liess Eden – und in dessen Schlepptau Mollet – schliesslich klein beigeben. «The sort of world we live in» Die beiden Regierungschefs waren die Opfer der nationalen Ambitionen und einer völligen Fehleinschätzung der Weltlage geworden. Im Erklärungsnotstand äusserte Eden am 3. November seine Hoffnung, der als «Polizeiaktion» deklarierte Krieg werde der Region dauerhaften Frieden bringen. Einen Tag später antwortete die Zeitung «Observer», Edens Kabinett habe während der ganzen Krise gezeigt, «that it does not understand the sort of world we live in». Es sei nicht mehr möglich, Länder nur aufgrund der Befürchtung zu bombardieren, eigene Handelsinteressen könnten geschädigt werden.
50 Jahre später ist – gerade mit Blick auf den Nahen und Mittleren Osten – festzustellen, dass die erste Aussage sich stets von neuem als falsch, die andere sich bis heute als richtig erwiesen hat. Aus der Kluft, die sich zwischen ihnen öffnet, stammt die Ohnmacht der (einstigen) Grossmacht.
__________________________________________________________________________ EXTRA Erst mit Nachhilfeunterricht «Seit einem halben Jahrhundert sind wir von derselben Frage besessen: Sind wir noch immer eine grosse Nation?», stellte Frankreichs Ministerpräsident Edouard Balladur 1994 fest. Und der britische Premier Tony Blair sagte 1997: «Entweder sind wir eine Führungsmacht oder nichts.» – So diffus die Begriffe der «Grösse» und «Macht» sind, so real ist ihre Wirkung – noch heute, vor allem auf Politiker, speziell in Frankreich und Grossbritannien. Was mit der Suez-Expedition hätte übertüncht werden sollen, war durch sie erst richtig zutage getreten: Frankreich und Grossbritannien waren nicht mehr in der Lage, nach Belieben zu schalten und walten. Robert und Isabelle Tombs, deren Buch über die gemeinsame Geschichte der beiden Länder kürzlich erschienen ist, bezeichnen die Geschehnisse von 1956 als «painful lesson in reality». Doch lernten die Betroffenen tatsächlich ihre Lektion? Die Antwort lautet: nur zum Teil und erst mit Nachhilfeunterricht. Der britische Premier Eden musste aufgrund der Suez-Krise zurücktreten, und sein Nachfolger Harold Macmillan machte sich sogleich an die Reparatur der arg beschädigten «special relationship» mit den USA.
Blairs Aussenpolitik dient als eindrücklicher Beweis, wie stark sich seither die Überzeugung festgesetzt hat, dass London nur an der Seite Washingtons auf der Weltbühne eine Rolle spielen kann. Der Durchbruch einer anderen Einsicht dauerte etwas länger: Bis 1968 versuchte Grossbritannien, den Westen mittels Militärpräsenz auch im Osten, Norden und Süden zu vertreten – und die USA damit zu entlasten. Zum Dank stützten diese das Pfund. Doch nach unzähligen Währungs- und Wirtschaftskrisen musste sich die Regierung eingestehen, dass das Erbe des Empire nicht länger zu bezahlen war. Aus allen militärischen Engagements ausserhalb Europas zog sich Grossbritannien zurück. In die Doktrin, von nun an nur noch eine europäische Macht zu sein, passte auch der EG-Beitritt «contre cœur» von 1973. Die europäische Integration war denn auch jene Domäne, in der sich die Franzosen mit besonderer Lernfähigkeit auszeichneten. Der Suez-Krieg hatte ihnen den endgültigen Beweis erbracht, dass sie sich nie auf die USA würden verlassen können und eine Allianz mit Grossbritannien kein Ersatz war.
Noch während des Kriegs räumte Ministerpräsident Mollet mit Bundeskanzler Konrad Adenauer die gröbsten Hindernisse weg, die der (im März 1957 erfolgten) Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (mit Italien und den Benelux-Ländern) im Wege standen. Eine andere Lektion lernte Mollet allerdings nicht: Auf den zunehmenden Terror des algerischen Front de Libération Nationale antwortete er mit Gegenterror, was in eine Gewaltspirale führte, deren Ende erst die 1962 erfolgte Anerkennung der Unabhängigkeit Algeriens brachte. Robert und Isabelle Tombs machen deutlich, dass die Suez-Krise nur ein Kapitel der langen gemeinsamen Geschichte Grossbritanniens und Frankreichs war. Suez dient überdies als Musterbeispiel dafür, dass sich die beiden Ländern immer wieder, an allen möglichen Orten auf der Welt, begegneten und meist nicht recht wussten, ob sie nun dem alten Rivalen oder vielleicht doch dem künftigen Freund gegenüberstanden. (agk) [i] Robert und Isabelle Tombs: That Sweet Enemy. The French and the British from the Sun King to the Present, London 2006. .
_________________________________________________________________________
EXTRA Zeittafel zum Suez-Kanal 1859–69: Bau des Suez-Kanals. 1882: Im Zuge der imperialistischen Ausdehnung besetzen britische Truppen Ägypten. 1922: Ägypten wird formal unabhängiges Königreich. Die Verteidigung des Staates und die Verwaltung des Kanals bleiben allerdings in britischer Hand. 1952: Oberst Nasser nimmt am Putsch gegen König Faruk I. teil. General Naguib wird Staatschef. 1954: Nasser stürzt Naguib und übernimmt dessen Amt. Abzug aller britischen Truppen vereinbart. 13. Juni 1956: Der letzte britische Soldat verlässt Ägypten. 26. Juli 1956: Zur Finanzierung des Assuan-Staudamms verstaatlicht Nasser den Suez-Kanal. Die britischen und französischen Aktionäre werden enteignet. 24. Oktober 1956: Geheimer Angriffspakt Israels, Frankreichs und Grossbritanniens. 29. Oktober 1956: Kriegsbeginn. 7. November 1956: Von Uno erzwungener Waffenstillstand.