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Religion und Repression - Interview mit Heinz Leuenberger
Montag, den 03. Oktober 2005 um 17:55 Uhr
Der Thuner Gemeinderat und Pfarrer Heinz Leuenberger erklärt, inwiefern Pfarrer-sein mit Aushölung von Grundrechten vereinbar ist. Auch Pfarrer hätten Biss, was er ja schon mehrere Male unter Beweis stellte.
Bleibt nur zu hoffen, dass er sich für den 15.10 wieder auf linke und soziale Werte, wie Verteidigung von Grundrechten (Versammlungs-, Bewegungs- und Meinungsfreihet) besinnt. Ein erneuter Versuch, sich mit 400-köpfigem "law-and-order" Aufgebot im bürgerlichen Spektrum zu profilieren, und nötigen antifaschistischen Widerstand gegen die zunehmende rechtsextremistische Gefahr in der Region und den latenten bis offenen Rassismus in Bevölkerung und Politik, zu unterdrücken, wären eines Sozialdemokraten und Christen eindeutig unwürdig.1)
Quelle: derBund, 03.10.05
Pfarrer, SP-Gemeinderat und Polizeivorsteher in Thun: Heinz Leuenberger will sich nicht nur für Schwache einsetzen.
Obwohl er Pfarrer ist, weist Heinz Leuenberger als Polizeivorsteher schon mal Randständige weg. Pfarrer, sagt er, schwebten nicht zwischen «Himmel und Erde» und seien nicht nur für das Seelenheil der Bevölkerung zuständig.
«BUND»: Heinz Leuenberger, Sie sind hauptberuflich Pfarrer, nebenamtlicher Gemeinderat und Polizeivorsteher. Wären Sie lieber Polizist statt Pfarrer geworden?
Heinz leuenberger: Das ist eine Vorstellung, die mir fern liegt. Ich bin ja strategischer Chef der Direktion Sicherheit. Diese umfasst neben der Polizei Thun auch die Feuerwehr, den Zivilschutz, das Gewerbeinspektorat, die Einwoh-nerdienste und das Programm für ausgesteuerte Arbeitslose. Ich bin also in keiner Art und Weise als Polizist tätig.
Das römisch-katholische Kirchenrecht verbietet Priestern, ein politisches Mandat anzunehmen. Weshalb umgehen Sie als reformierter Pfarrer das Sprichwort «Schuster bleib bei deinen Leisten» und kümmern sich nicht ausschliesslich um die geistig-seelischen Belange der Bevölkerung?
Im Volk hat man wohl das Gefühl, dass sich ein Pfarrer nur um das Geistig-Seelische zu kümmern hat. Eine Leiblichkeit lässt sich aber laut dem Alten und Neuen Testament nicht vom Geist trennen. Ich vertrete eine Theologie, in der Kirche und Welt, Gesellschaft und Glauben, Christentum und Politik untrennbar sind. Nur eine Kirche, die sich für diese Welt und die Gesellschaft im leiblichen, geistigen und seelischen Bereich engagiert, hat in dieser Welt eine Existenzberechtigung. Evangelikale und christliche Fundamentalisten würden mir natürlich widersprechen und sagen: Als Pfarrer hast du nichts in der Politik zu suchen.
Weshalb haben Sie ein politisches Mandat angenommen?
Als ich noch nicht in der Politik war, wies ich ab und zu in einer Predigt darauf hin, dass man für die Arbeitslosen viel mehr tun sollte. Das ist das eine. Wenn man aber als Gemeinderat Beschäftigungsplätze für 126 Leute einrichten kann, ist das etwas anderes. So gesehen ist ein politisches Mandat schlichtweg eine wertvolle Ergänzung zum Beruf des Pfarrers und umgekehrt.
Nun gehört es zum Aufklärungsbestand des Abendlands, dass Kirche und Staat getrennt sind.
Ich vermische die beiden Dinge nicht. Haben Sie mich in der Politik schon predigen hören? Oder haben Sie von mir auf der Kanzel jemals Parteipolitik vernommen? Ich weiss die beiden Sachen sehr wohl zu trennen, sonst wäre ich nicht vier Mal wiedergewählt worden. Dem ist noch etwas beizufügen: Kirche und Staat sind im Kanton Bern eben nicht getrennt. Wir haben ja einen bernischen Kirchendirektor (Regierungsrat Werner Luginbühl, Anm. d. Red). Die bernische Landeskirche ist die engste Form von Staatskirche, die es in Europa gibt. Wir bernischen Pfarrer sind Staatsangestellte.
Es gibt einen christlichen Grundsatz, demzufolge jedem Menschen sein Wert und seine Würde zugestanden werden soll. Nun haben Sie in ihrem Amt als Polizeivorsteher aber jüngst eine Aktion lanciert, die diesem Grundsatz zuwider läuft: Randständige werden in Thun aus drei Perimetern in der Innenstadt regelmässig weggewiesen und mittels Fernhalteverfügungen gehindert, sich erneut dort aufzuhalten. Wie können Sie als Pfarrer im Gemeinderatsamt einen Entscheid fällen, der dem christlichen Grundsatz widerspricht?
Das haben Sie gesagt, dass die Aktion Marathon einem christlichen Grundsatz widerspricht. Für mich galt es abzuwägen, ob die Interessen der Randgruppe, die etwa den Mühleplatz in Beschlag nimmt, Vorrang haben vor den Interessen der zahlenmässig viel grösseren Restbevölkerung, die den Platz auch beansprucht.
Trotzdem: Ein Pfarrer hat sich doch für die Leute am Rande der Gesellschaft einzusetzen.
Diese Harmlosigkeit attestiert man uns überall. Man denkt, wir setzten uns nur für die Schwachen ein und würden alle anderen vergessen. Und man glaubt, Pfarrer hätten keinen Biss und schwebten zwischen Himmel und Erde. Das war noch nie so und ist ein völlig verfälschtes Bild des Pfarrers. Weder Huldrich Zwingli noch Martin Luther waren apolitisch.
Ihnen wird in Thun immer wieder vorgeworfen, gerade als Pfarrer hätten sie zu wenig Biss. Wollten Sie mit der Wegweisungsaktion beweisen, dass Sie durchaus anders können, als sich für Schwache stark zu machen?
Da sind Sie auf dem Holzweg. Als ich mein Amt 1991 antrat, lachten die Polizisten über die Vorstellung, dass nun ein Pfarrer politischer Polizeivorsteher sei. In meinem ersten Amtsjahr setzte ich dann einen Kommandanten ab. Ich brauchte also nicht die jüngste Wegweisungsaktion, um zu beweisen, dass Pfarrer wie alle anderen Leute klare Entscheide zu fällen im Stande sind.
Es ist Ihnen also wichtig, das Bild eines Pfarrers widerzugeben, der auch hart sein kann?
Ich wollte nie und will kein solches Bild widergeben. Ich korrigiere höchstens die Vorstellung, die man im Volk von einem Pfarrer hat.
Angenommen, die von Ihnen als Polizeivorsteher Weggewiesenen klopfen an Ihre Kirchentür und bitten um Kirchenasyl, weil sie sich in der Innenstadt nicht mehr aufhalten dürfen. Gerieten Sie in einer solchen Situation nicht in Konflikt?
Nein. Ich würde den Randständigen erklären, dass niemand aus der Gruppe obdachlos ist und dass wir in Thun eine gut ausgebaute Sozialhilfe haben. Ich bin ja noch Stellvertreter des Sozialvorstehers und weiss, dass es genug Hilfestellungen für Randständige gibt.
Geht man in Thun noch zu einem Polizeivorsteher wie Pfarrer Heinz Leuenberger in die Seelsorge?
Mein Spezialgebiet in meinem Pfarramt ist Beratung, nicht im Sinne von biblischer Seelsorge, sondern im Sinn von Lebensberatung nach psychologischen Methoden. Zu mir kommen sehr wohl junge Menschen mit ihren Problemen. Ob es gerade solche sind, die wie die Randständigen auch auf dem Mühleplatz anzutreffen waren, kann ich nicht sagen. Hätte jemand der Ratsuchenden mit meiner Rolle als Polizeivorsteher Mühe, dann würde ich ihn zu einem Kollegen schicken.
Wären Sie als Dorfpfarrer tätig, hätten Sie diese Möglichkeit nicht. Würden Sie auch ein politisches Amt ausüben, wenn Sie der einzige Pfarrer in einem Dorf wären?
Ich war neun Jahre in Innertkirchen Pfarrer und damals schon SP-Mitglied. In dieser Zeit machte ich aber nicht aktiv in der Politik mit. Politisch aktiv sein kann man als Pfarrer nur in einer Stadt, wo es eine grosse Auswahl an Pfarrerinnen und Pfarrer gibt.
Als Pfarrer unterstehen Sie dem Seelsorgegeheimnis. Nun erfahren Sie in ihrer Beratung etwas Wichtiges, das Sie aber als Gemeinderat nicht weiterverwenden dürfen.
Es ist ganz klar, dass ich als Seelsorger bei einer Beratung dem Amtsgeheimnis verpflichtet bin und Gehörtes nicht verwenden darf –auch politisch nicht. Damit haben weder meine Gemeinderatskollegen noch ich Mühe.
Weshalb gehören Sie als Pfarrer eigentlich der SP und nicht der EVP an, die ihr politisches Programm auf christlichen Grundsätzen aufbaut?
Das Gesellschaftsbild der SP entspricht mir mehr als dasjenige der EVP. Zudem ist die SP-Mitgliedschaft in unserer Familie Tradition. Bereits mein Vater war Gewerkschafter und Stadtrat in Thun.
Im November 2006 sind in Thun Wahlen: Treten Sie wieder an?
Dazu sage ich gar nichts.
zur person
Heinz Leuenberger war von 1979 bis 1990 Thuner Stadtrat, bevor er 1991 in den Gemeinderat gewählt wurde. Als Pfarrer arbeitet er in der reformierten Kirchgemeinde Thun-Strättligen. Er ist verheiratet. (gum)
1) obenstehender Kommentar widerspiegelt einzig die persönliche Meinung des Verfassers. Diese muss nicht mit den Ansichten von A-G-O; A-I-O oder den OrganisatorInnen des 3. antifaschistischen Abendspazierganges übereinstimmen.