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Demoreglement: «Fast wie eine Ausgangssperre»

Grundrechtsexperten kritisieren das Ortspolizeireglement der Stadt Thun, das die Teilnahme an einer unbewilligten Kundgebung untersagt. Der Berner Anwalt Daniele Jenni kündigt Widerstand an.
 
«Grundrechtlich gesehen ist der Fall klar», sagt der emeritierte Berner Staatsrechtler Jörg Paul Müller: «Das geht nicht.» Gemeint ist die neue Bestimmung im Thuner Ortspolizeireglement, wonach die Teilnahme an einer unbewilligten Kundgebung oder an einer verbotenen Spontankundgebung untersagt ist – wobei das Reglement festhält, dass das «Erscheinen am Besammlungsort» bereits als Teilnahme gilt (vgl. «Bund» von gestern). Diese Bestimmung tangiere die persönliche Freiheit und die Versammlungsfreiheit in unzulässiger Weise, so Müller. «Das geht zu weit – das ist ja fast wie eine Ausgangssperre.» Die Einschränkung, wonach die Teilnehmer straffrei blieben, wenn die Kundgebung friedlich verlaufe, rette die Sache nicht. «Man weiss ja nicht zum Voraus, ob eine Kundgebung friedlich verlaufen wird oder nicht.»

«Was heisst ,Erscheinen‘?»

Müller steht mit seiner Meinung unter Grundrechtlern nicht alleine da. Das Verbot einer Demonstration sei ein «schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit», sagt der Basler Staatsrechtsprofessor Markus Schefer. Daher müssten die entsprechenden Bestimmungen viel präziser formuliert sein. Darüber hinaus sieht Schefer bei der Handhabung des neuen Artikels verschiedene praktische Probleme. «Was heisst genau ,Erscheinen‘, und wie will man den Leuten nachweisen, dass sie an der Kundgebung teilnehmen wollten?»
Auch der Berner Anwalt und Stadtrat Daniele Jenni (gpb), der schon öfters Kundgebungsteilnehmern in Thun juristisch zur Seite stand, hat Mühe mit dem Reglement. Dieses strotze von Absurditäten und sei «absolut nicht handhabbar». Zudem sei eine Gemeinde gar nicht befugt, die Teilnahme an einer Demonstration als strafbar zu erklären. Laut Kantonsverfassung dürften die Gemeinden lediglich eine Bewilligungspflicht einführen. Damit liessen sich allenfalls die Organisatoren einer Kundgebung ins Recht fassen, nicht aber die Teilnehmenden.

Beschwerde wahrscheinlich

Jenni hat bereits einige Hebel in Gang gesetzt, um das Reglement zu bekämpfen. Er habe deswegen mit seiner Partei und mit den Demokratischen Juristen Kontakt aufgenommen. Ausserdem werde das Reglement «sehr wahrscheinlich» mittels Gemeindebeschwerde beim Regierungsstatthalter angefochten. «Ich weiss von Leuten aus Thun, die dazu bereit sind.»
Der Thuner Polizeichef Erwin Rohrbach hingegen sieht «keine grossen Probleme» bei der Anwendung des neuen Artikels. Aufgrund von Kleidung und Ausrüstung liessen sich Kundgebungsteilnehmer und unbeteiligte Passanten klar auseinander halten, sagt er. «Das Risiko, dass jemand zu Unrecht bestraft wird, ist gering.» Ähnlich äussert sich der Thuner Polizeivorsteher Heinz Leuenberger (sp). «Die neue Bestimmung richtet sich nur gegen Exzesse und Chaoten», versichert er. «Die Versammlungsfreiheit bleibt unangetastet.»

Der Bund, Stefan von Below [04.11.06