<<  Jan 2018  >>
 Mo  Di  Mi  Do  Fr  Sa  So 
  1  2  3  4  5  6  7
  8  91011121314
15161718192021
22232425262728
293031    

Newswire

Neonazis leisten ungehindert Militärdienst

Dutzende Militärangehörige brüsten sich laut einem Bericht im Internet mit ihrer rechtsextremen Einstellung – darunter sogar Führungspersonen. Sicherheitspolitiker sind empört. Der Armee sind d...
Read more...

Communiqué von A-Perron zum Angebot der Stadt Thun

Communiqué zum Angebot der Stadt bezüglich Räumlichkeiten für ein nichtkommerzielles Kulturzentrum in Thun (3. Oktober 2012) Der Gemeinderat hat beschlossen, ein einjähriges Pilotprojekt für e...
Read more...

Thun schafft Freiraum für die Jugend

Thun erfüllt den Jungen einen Wunsch: Sie stellt ihnen beim Bahnhof Räume zur Verfügung. Starten könnte das einjährige Projekt im Januar.   ...
Read more...

Communiqué zum Nächtlichen Tanzvergnügen 2.0

Gestern Samstag, am 22. September nahmen wir uns mit über zweitausend Menschen die Strassen Aaraus. Obwohl wir uns nie um eine Bewilligung gekümmert haben, wurde sie uns absurderweise trotzdem ertei...
Read more...

Spur der Neonazimorde führte in die Schweiz

Die deutsche Polizei tappte bei der Aufklärung der Morde der Zwickauer Zelle lange im Dunkeln. Eine wichtige Spur hätte zu einem Berner Waffenhändler geführt. Die Behörden verfolgten sie jedoch n...
Read more...
Neonazi Aktivitäten melden

Veröffentlichen

Auch du kannst auf A-G-O deine Informationen veröffentlichen. Wir sind froh, wenn du zum Unterhalt der Seite beiträgst.
> News eintragen
> Termin eintragen
> Link melden

Buch: Fliegeralarm - Gisela Elsner

4307012Nürnberg, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs. Alle paar Tage finden Luftangriffe statt, große Teile der Stadt liegen bereits in Trümmern, mitten im Geschehen eine Gruppe etwa fünfjähriger Kinder – das ist die Ausgangssituation in Gisela Elsners Roman »Fliegeralarm«, der zuerst 1989 erschien und nun im Rahmen einer Elsner-Werkausgabe, die im Berliner Verbrecher Verlag herauskommt, wieder aufgelegt wurde.



 
Titel und Thema könnten vermuten lassen, man habe eine Ausgrabung vor sich, die hervorragend zum neuen deutschen Opferdiskurs passe. Alliierte Bomber oben, deutsche Kinder unten – das scheint zu belegen, daß alle Völker irgendwie leiden mußten. Allerdings macht schon stutzig, daß vor zwanzig Jahren das Buch zwar in kleineren linken Zeitungen wie der UZ oder der Deutschen Volkszeitung (einer Vorgängerin des heutigen Freitag) sowie im deutschsprachigen Ausland gelobt wurde, in den einflußreichen deutschen Feuilletons hingegen einhellig Verrisse erschienen. Tatsächlich ist der Roman völlig ungeeignet, deutschnationale Politik zu stützen. Auch er widerlegt die jahrelange Behauptung des deutschen Feuilletons, die Bombardierung Deutschlands sei kaum je Thema der Literatur geworden; Volker Hages eindrucksvoller Band »Zeugen der Zerstörung« hat 2003 dies mit zahlreichen Beispielen ohnehin als Legende entlarvt. Und der Roman widerlegt sie so, daß die herrschende Politik daraus keinen Gewinn wird ziehen können.

Elsners Kinder nämlich leiden gar nicht. Im Gegenteil: Sie erfreuen sich an den Explosionen, bedeuten die doch einerseits die ersehnte Chance, für den »Führer« zu sterben, und bleiben andererseits Bombensplitter zurück, die sie untereinander als Währung benutzen, sowie Trümmer, die einen einzigartigen Spielplatz abgeben.

Dies Ineinander von Todesbereitschaft und ökonomischem Kalkül ist logisch unsinnig (wer stirbt, braucht auch keine Währung mehr). Es ist ein Unsinn, der für den deutschen Faschismus kennzeichnend war. Die Kinder spielen alles nach. Unter ihnen gibt es einen künftigen »Führer«, der hofft, irgendwann Hitler nachzufolgen und dann einen Krieg zu führen, »der selbst diesen von Adolf Hitler geführten, ohnehin sattsam großartigen Weltkrieg in den Schatten stellen sollte«. Die Position dieses Jungen ist durch Mittel erkauft, die er von seinem Vater, einem stadtteilbeherrschenden Lebensmittel- und Schwarzhändler, stiehlt. Ihm gehorchen »nicht weniger als fünf minderjährige, aber ungemein militante SS-Männer«, nämlich bereits völlig deformierte Vorschulkinder. Außerdem sind da noch das kleine Mädchen, das sich als seine künftige Frau sieht und die Ich-Erzählerin des Romans ist, deren kleinerer Bruder sowie ein weiteres Mädchen, die als Tochter eines Obermedizinalrats sich als intellektuelle Rassenbiologin aufspielt und jedenfalls die Bande mit einem kodeinhaltigen Hustensaft versorgt, der in Krisenfällen als Droge dient.

Klar ist damit, daß es sich um keinen psychologischen Roman handelt. Kleine Kinder, egal unter welchem Regime, dürften Angst verspüren, wenn Bomben explodieren. Sie sind bereits zu Machtkämpfen in der Lage, doch nicht zu ideologischen Begründungen wie Elsners Fünfjährige. Das wußte natürlich auch die Autorin; sie wollte also keinen einfühlenden Realismus, sondern eine Herrschaftsstruktur darstellen. Zuweilen benutzt sie den Kontrast zwischen Nazidogma und kindlichem Unverständnis, um das Dogma zu verfremden. Sogar in den seltenen Passagen, in denen die Kinder ganz kindlich sind, handelt es sich um kein Zugeständnis an die psychologische Stimmigkeit. Das wäre ästhetisch ein Mangel, denn es entspräche nicht den Voraussetzungen des Buches. Die wichtigste Voraussetzung ist, daß die groteske Übersteigerung das Schlechte genauer zeigt als mitfühlende Identifikation. Die Satire verhindert jede Sentimentalität, die einer Erkenntnis im Wege stände.

Die Autorin

Gisela Elsner wurde 1937 in Nürnberg geboren. Ihre Eltern gehörten zum wohlhabenden Bürgertum, der Vater war Direktor bei Siemens. Die Abneigung gegen die Schicht ihrer Eltern zeigt sich in vielen ihrer späteren Bücher – Groß- und Kleinbürgertum sind da in ihrem sozialen Gehabe genau differenziert, aber das eine so gräßlich wie das andere. Einen Ausweg mochte die Kunst bieten. Nachdem Elsner in Wien Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaften studiert hatte, wagte sie eine Existenz als freie Schriftstellerin. 1964 wurde ihr erster Roman »Riesenzwerge«, eine »Kleinbürgergroteske«, zum Erfolg. Der Prix Formentor für dieses Buch beruhte möglicherweise auf einem Mißverständnis: dem Eindruck, man habe es mit einem Modernismus zu tun, der Formexperimente in der Nachfolge Kafkas wage, doch ohne soziale Bezüge sei. Das wiederum mag auch eine Fehlinterpretation Kafkas sein, dem denn auch Elsner viel später in ihrem Essayband »Gefahrensphären« (1988) eine Flucht vor gesellschaftlichen Konflikten vorwarf. Doch bleibt festzuhalten, daß Elsner sich von ihrem nach »Der Nachwuchs« (1968) dritten Roman »Das Berührungsverbot« (1970) an einer realistisch-satirischen Schreibweise zuwendete.

Im »Berührungsverbot« geht es um einige Ehemänner, die sich an der sexuellen Befreiung beteiligen wollen und schließlich mit ihren Frauen eine Partnertauschorgie durchführen, die in einem angesichts der verklemmt-deformierten Persönlichkeiten absehbaren Katastrophe endet. »Der Punktsieg« (1977) stellt einen sozialdemokratischen Unternehmer bloß, der sich voller Selbsttäuschung als progressiv gebärdet.

Hier wie in den kommenden Büchern treten am Rande der Handlung verkommene Künstlergestalten auf, die sexuell ausbeuten, politisch große Reden führen und ästhetisch nichts zuwege bringen, was irgendeinen erkennbaren Bezug zur Wirklichkeit aufweist. Elsner – soviel wird hier deutlich – empfand sich als immer unzeitgemäßer. Sie machte den entscheidenden Schritt zur engagierten Literatur, als die ersten Trendsetter schon eine neue Innerlichkeit zu wittern begannen; sie positionierte sich politisch durch den Beitritt zur DKP, als eindeutige politische Standpunkte allmählich außer Mode kamen.

Das Thema von »Die Zerreißprobe«, einer gewichtigen Erzählung, die 1980 einer Prosasammlung den Titel gab, war in der staatlichen Überwachungshysterie der RAF-Zeit noch aktuell: wie Geheimdienstaktivitäten dazu führen, daß eine unter Verdacht geratene Frau eine Paranoia entwickelt – oder aber, wie der Umgebung als Paranoia erscheint, was doch nur die Anklage einer staatlich Überwachten ist.

Der Roman »Abseits« (1982) stand dann schon quer zur literarischen Mode. Einerseits handelt es sich zwar um Elsners zugänglichstes Buch. Die satirischen Elemente sind stark zurückgenommen, die Hauptfigur Lilo Besslein lädt beinahe zur Identifikation ein. Merkt man auch, wie sich die unglückliche Ehefrau Fehler für Fehler ins Abseits manövriert, bis sie sich schließlich isoliert in einem Hotel das Leben nimmt, so ist ihre Umgebung derart gezeichnet, daß man für jeden dieser Fehler Verständnis aufbringt. Andererseits jedoch hat Elsners Realismus, der Kleidung, Wohnungstyp, Einrichtung und Farbgebung im Detail schildert und sozial zuordnet, mit der damals modischen Subjektivität nichts zu schaffen.

Mit »Die Zähmung« (1984) werden dann auch inhaltliche Differenzen zu den damals in der Linken vorherrschenden Meinungen unüberbrückbar. Der Roman ist eine brillante Geschlechtertauschsatire. Der hoffnungsvolle Schriftsteller Alfred Giggenbacher wird von seiner dominanten Frau Schritt für Schritt in die Hausmann-Rolle gedrängt, während die Siegerin sich als Trivialautorin zu etablieren vermag. In der Verfremdung werden zwar Geschlechterrollen umso deutlicher; doch paßte das Leiden eines zuletzt geknechteten Mannes ebensowenig ins zeitgenössische frauenpolitische Programm wie Elsners Essays in diesen Jahren, in dem sie den damaligen Feministinnen Biologismus und einen beschränkten Blick auf die Selbstverwirklichungsinteressen bürgerlicher Frauen vorwarf.

Der Roman »Das Windei« (1987) demontierte dann die Ideologie, daß jeder, der sich anstrenge, auch hochkomme. Das paßte den Rechten nicht in den Kram und interessierte kaum die Mehrheit der damals Linken, die eine Existenz am Rand der Gesellschaft dem Kampf um ihr Zentrum vorzog.

Dies Buch war das letzte, das Elsner beim Rowohlt Verlag, der sie seit den »Riesenzwergen« betreut hatte, publizieren konnte. Im deutschsprachigen Raum folgte noch das Libretto zur Oper »Friedenssaison« – eine beißende Abrechnung mit der Friedensbewegung, soweit sie der Illusion eines netten Miteinanders folgte, statt unmißverständlich Klassengegensätze zu formulieren. Im Wiener Zsolnay Verlag erschienen der erwähnte Essayband »Gefahrensphären« und dann 1989 der nun wieder aufgelegte Roman »Fliegeralarm«.

Zu den späten Werken gehören auch der von deutschen Verlagen abgelehnte und damals nur auf Russisch publizierte Roman »Heilig Blut« und der lange Zeit nur als Typoskript vorliegende Text »Otto der Großaktionär«. Beide sind nun vom Verbrecher Verlag publiziert. Alle diese Werke sind durch eine Radikalisierung gekennzeichnet, die der damals hoffnungslosen Lage entspricht.

Als Mitglied der DKP, zeitweise sogar im Parteivorstand, kämpfte Elsner an zwei Fronten. Zum einen wandte sie sich gegen die »Erneuerer«, gegen gorbatschowistische Versöhnler, die alle Gegensätze zwischen Klassen und zwischen Imperialismus und Gegenwehr zugunsten globaler, demokratisch zu diskutierender Menschheitsprobleme verschwinden lassen wollten. Zum anderen lehnte sie den Legalismus der Parteimehrheit ab, der in ihrer Sicht in der Praxis zu sozialdemokratischer Politik führte und radikale Kämpfer abschreckte.

Es bleibt ungewiß, welche gesellschaftliche Grundlage der konsequente Widerstand, den Elsner forderte, damals gehabt hätte. Das Ende der DDR, die Defensive aller Linken auch im Westen, trafen jedenfalls Elsner tief. Vom literarischen Leben weitgehend abgeschnitten und mit schweren gesundheitlichen Problemen nahm sie sich 1992 das Leben.

Allmählich waren ihre Bücher vergriffen. Eine gewisse Aufmerksamkeit brachte zwar im Jahr 2000 der Spielfilm »Die Unberührbare«, in dem ihr Sohn Oskar Roehler die letzten Tage seiner Mutter schilderte. Doch erscheint Elsner in diesem Film vor allem als grotesk Gescheiterte, lebensunpraktisch und politisch verrannt. Wohl kaum ein Zuschauer dürfte nach diesem Film vermutet haben, daß die Lektüre von Elsners Romanen lohnend sein könnte. Erst die Ausgabe des Verbrecher Verlags seit 2002, in der sowohl bereits publizierte Romane wiederaufgelegt werden als auch bislang unveröffentlichte Texte erscheinen, sowie eine von der Herausgeberin Christine Künzel organisierte wissenschaftliche Konferenz (2007) haben den Blick wieder auf die Autorin gelenkt.