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Neonazis: Gemeinderat zaudert

Thuns Gemeinderat bleibt im Kampf gegen Rechtsextremismus wenig konkret. Er beantwortet eine Anfrage aus dem Stadtrat nur vage. Immerhin: Zwischenfälle mit Neo-nazis waren in den letzten Jahren eher rückläufig.

thun/Region

 
sind erschrocken über die Präsenz und Gewaltbereitschaft der rechten Szene», sagt SP-Stadträtin Vreni Balmer.Nachdem in der Nacht vom 8. auf den 9. Juli ein stadtbekannter Neonazi einen linken Aktivisten angeschossen hat (wir haben berichtet), wollten SP und GFL vomGemeinderat wissen, wie er gegen den Rechtsextremismus in Thun vorgeht.

«Vorwürfe, man sei in Thun ‹auf dem rechten Auge blind›, unterstellen auf perfide Weise, der Gemeinderat toleriere rechtsextremes Verhalten», schreibt dieser jetzt in seiner Antwort auf die Anfrage. Der Gemeinderat «lehnt jegliche Art von extremistischem Verhalten ab, und er macht dabei keinen Unterschied, ob es sich um rechtsextreme oder um linksextreme Aktivitäten und Auswüchse handelt.»

Schütze noch in U-Haft

Im erwähnten Fall des schiess-wütigen Neonazis habe die Polizei den mutmasslichen Schützen und zwei weitere Verdächtige nach nur 24 Stunden ding-fest machen können. «Dieses schnelle Vorgehen zeigt, dass die Sicherheitsorgane ihre Aufgaben ohne Zeitverzug wahrnehmen», heisst es weiter.

Der mutmassliche Täter sitzt immer noch in Untersuchungshaft. Laut dem zuständigen Untersuchungsrichter könnte das Untersuchungsverfahren in diesem Fall in den nächsten Monaten abgeschlossen werden. «Den ersten Teil eines psychiatrischen Gutachtens haben wir bereits erhalten, das Hauptgutachten sollte Ende Januar eintreffen», erklärt Hans-Peter Zürcher auf Anfrage. Danach sollte die Voruntersuchung abgeschlossen und die Überweisung an das urteilende Gericht geprüft werden können.

Keine Versammlungen

Der Gemeinderat hält in seiner Antwort fest, dass die Bildung einer Szene in einem Restaurationsbetrieb verhindert würde, «indem die Direktion Sicherheit beim Regierungsstatthalter die sofortige Betriebsschliessung beantragen würde». Die Polizei habe «schon lange den Auftrag, in einschlägigen Lokalen regelmässig Kontrollen durchzuführen und Fehlbare konsequent zur Rechenschaft zu bringen.» Ebenfalls würden Veranstaltungen wie Versammlungen oder Konzerte von Rechtsextremen in Thun nicht bewilligt.

Laut Sicherheitsvorsteher Heinz Leuenberger sei noch nie ein Lokal wegen rechtsextremen Aktivitäten geschlossen worden. Und Namen von «einschlägigen Lokalen» könne er «aus Gründen des Datenschutzes» nicht nennen.

Gemeinderat: Keine Zahlen

Auf die Frage, «wieviele rechtsextremistische Vorfälle» den Behörden in den letzten fünf Jahren bekannt seien, bleibt die gemeinderätliche Antwort vage. Der Begriff «rechtsextremistischer Vorfall» sei nicht eindeutig. «Die fehlende Definition für ‹rechtsextremistischer Vorfall› und die selten genügende Mitarbeit tatsächlicher oder vermeintlicher Opfer verunmöglichen, dass eine seriöse Liste geführt werden kann», heisst es weiter. Im selben Abschnitt steht allerdings, dass die Polizei Thun «alle bekannt werdenden Vorfälle mit tatsächlich oder angeblich extremistischem Hintergrund der zuständigen Staatsschutzstelle» melde. «Der Gemeinderat ist der falsche Adressat für diese Frage. Der Staatsschutz fällt in die Kompetenz der Kantonspolizei, politisch ist dieser allenfalls im Grossen Rat zu thematisieren», kommentierte Heinz Leuenberger gegenüber dieser Zeitung.

SP ist «nicht befriedigt»

«Wir sind von der Antwort des Gemeindrates nicht befriedigt», bringt SP-Stadträtin Vreni Balmer die Meinung der SP-Fraktion auf den Punkt. Wie genau sie in der nächsten Stadtratssitzung reagieren wolle, werde die Fraktion aber noch festlegen.

Die Polizei gibt Auskunft

Das Bundesamt für Polizei gab auf eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung schnell und unkompliziert Auskunft. Laut der aktuellen Liste wurden 2004 im ganzen Kanton Bern 17 rechtsextrem motivierte Ereignisse vermeldet. Schweizweit waren es deren 111 plus 12 «kleinere Veranstaltungen im vorwiegend privaten Rahmen». Bei der Kantonspolizei Bern wurden laut Mediensprecher Peter Abelin in den Jahren 2002 bis 2005 für die Region Thun insgesamt 13 «rechtsextremistische Vorfälle» gemeldet.

Ein Blick in die «Chronologie rassistischer Vorfälle in der Schweiz» zeigt, dass zwischen 2001 und heute insgesamt 17 rassistische Vorfälle im Berner Oberland vor Gericht gebracht wurden oder in den Medien in Erscheinung getreten sind. Auf der Homepage der «Autonomen Gruppen Berner Oberland» (AGO) können für 2004 17 angebliche Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund gezählt werden. 2005 sind noch deren zwei aufgeführt.

Kommentar auf dieser Seite

Chronologie rassistischer Vorfälle in der Schweiz: www.gra.ch/chron/chron_index.asp

Kommentar

Marco Zysset


Das reicht nicht!

«Der Gemeinderat kommuniziert bei Bedarf offen und legt seinen Standpunkt gegen jegliche Art von Gewalt klar und deutlich dar», heisst es in der gemeinderätlichen Antwort auf eine Anfrage im Stadtrat. Wann bitte ist der Bedarf gegeben, gegen Gewalt einzustehen – und wann nicht? Thuns Stadtregierung macht es sich beim Kampf gegen Rechtsextremismus offensichtlich zu einfach. Dieser Kampf sei ein Dauerauftrag und «einschlägige Lokale» würden geschlossen, wenn sich eine Szene bilde, schreibt der Gemeinderat zwar. Aber geschlossen wurde bisher noch keines dieser «einschlägigen Lokale». Wann bitte ist ein Lokal nur «einschlägig» und wann hat sich eine Szene gebildet, die eine Schliessung rechtfertigt? Diese Frage beantwortet der Gemeinderat nicht.
Höchst problematisch ist die Aussage, es sei nicht möglich, «eine seriöse Liste» über rechtsextremistische oder rassistische Vorfälle zu führen.Vier Telefonate und Besuche auf zwei Internetseiten reichten aus, um Zahlen zu derartigen Ereignissen im Raum Thun/Berner Oberland zu finden. Es macht den Anschein, als habe der Gemeinderat für die Beantwortung dieser Fragen einfach keine Zahlen finden wollen.
Wenn Thuns Gemeinderat glaubt, mit einer zwei Seiten langen Antwort ohne harte Fakten sei der Kampf gegen Rechtsextremismus gekämpft, liegt er falsch. Das reicht nicht! Mag sein, dass die Zahl der gemel- deten Vorfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund nicht erschreckend hoch ist. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Zahl von nicht gemeldeten Vorfällen einiges höher ist.
Viel wirksamer wäre, wenn der Gemeinderat – zusammen mit anderen Politikern aus dieser Stadt aktiv ein Zeichen gegen Rechts setzen würde. Wie wärs mit einer offiziellen, legalen Kundgebung gegen rechts? Wie gewaltbereit einige Neonazis sind, hat die Nacht vom 8. auf den 9. Juli gezeigt, als ein linker Aktivist von einem Rechtsextremen angeschossen wurde. Muss erst ein Schütze sein Opfer tödlich treffen, bis Thun aufwacht?

m.zysset@bom.ch