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Warum Roggwil?

Seit Jahren gerät Roggwil immer wieder in die Schlagzeilen – wegen Rechtsextremismus. Warum?

Auf dem Maibaum fehlen seit Jahren die ausländisch klingenden Mädchennamen. Die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) will zu den Gemeindewahlen 2006 antreten. Die Nazirockband Indiziert übt seit kurzem in einer Roggwiler Gewerbehalle: Immer wieder ist Roggwil in den Schlagzeilen. Und immer wieder geht es um Rechtsextremismus.

 

 

Warum gerade Roggwil? Wo liegt der Ursprung? Und wie ist es möglich, dass über all die Jahre die Suppe auf dem «Herd» weiterköchelt? Und warum schaute ein ganzes Dorf jahrelang weg? Einer, der die Anfänge des Rechtsextremismus in Roggwil miterlebt hat, ist Pfarrer Hans Gerber. Er spricht darüber. Aber auch andere Roggwiler haben das Schweigen satt – und gründeten die «Roggwiler Erklärung». Eine Suche nach den Spuren.azw

RECHTSEXTREMISMUS IN ROGGWIL

Dem braunen Sumpf auf der Spur

Rechtsextreme kandidieren für die Gemeindewahlen, am Maibaum fehlen ausländische Mädchennamen: Roggwil kommt immer wieder in die Negativschlagzeilen. Warum aber gerade dieses Dorf? Eine Spurensuche.

Beschaulich, ruhig, idyllisch, ein Dorf auf dem Land: So würde man Roggwil auf den ersten Blick charakterisieren. Doch unter der Oberfläche brodelts, immer noch, schon lange, und wahrscheinlich noch länger.

Seit Jahren ist Rechtsextremismus Thema im Dorf. Beispiele: zerbrochene Fensterscheiben und rassistische Aufkleber bei ausländischen Ladenbesitzern, der Maibaum, die Partei national orientierter Schweizer (Pnos), die an den Gemeindewahlen 2006 antreten will oder die Nazirockband Indiziert, die in Roggwil ihr Übungslokal hat (siehe Kasten). Doch warum gerade in Roggwil? Wo liegt der Ursprung? Und wie kommt es, dass dieser «Herd» über Jahre weiterköchelt?

Es gibt Vermutungen, und es gibt Tatsachen.

Vermutung: die ausländischen Arbeiter der einstigen Spinnerei Gugelmann & Cie. Durchschnittlich wurden rund 600 Leute dort beschäftigt. Erst warens vor allem Italiener, dann kamen Portugiesen, Jugoslawen und Türken. Viele von ihnen lebten in Roggwil. Die Gugelmann & Cie. wurde 1992 geschlossen. Vermutung: das Flüchtlingszentrum, das so genannte rote Haus im Grunholz. 1979 kamen Flüchtlinge aus Indochina. Später aus Polen, der Türkei, Pakistan, Sri Lanka. Das rote Haus galt als grösstes Durchgangszentrum im Kanton Bern. Mehr als 1550 Menschen wurden dort zwischen 1983 und 1994 durchgeschleust. 1991 wurde ein Anschlag von Rechtsradikalen auf dieses Haus verübt. 1994 wurde das Flüchtlingszentrum geschlossen.

Die Gründe?

Roggwil wurde nicht gefragt. Die Ausländer und Flüchtlinge waren da. Über Jahrzehnte. «Aber eine Auseinandersetzung mit diesen Leuten, diesen anderen Kulturen, hat nie stattgefunden», sagt Hans Gerber, Pfarrer in Roggwil.

Damals gab es im Dorf zwar noch keine rechtsradikale Bewegung. Aber diese Vorgeschichte könnte ein Grund, eine Erklärung dafür sein, warum in vielen Roggwiler Familien Rechtsextremismus geduldet oder gar unterstützt wird. Oder vielleicht auch vorgelebt?

Tatsachen

Wie der Rechtsextremismus dann ins Dorf kam, erzählt Pfarrer Gerber: «Vor rund sechs Jahren hat sich eine eigene ‹Fraktion› gebildet, eine Gruppe Jugendlicher, die mit dem Motto ‹jeden Tag ein Anschlag› in der Schule für Zoff sorgten.» Es war eine eingespieltes Team, aber Rechtsextremismus war da noch kein Thema.

Doch dann entdeckte einer von ihnen den «Nationalen Widerstand», eine rechtsextremistische Bewegung. Es war Pascal Lüthard, damals in Roggwil wohnhaft und etwa 16 Jahre alt. «Lüthard hatte in dieser Bewegung bald eine Funktion übernommen», so Hans Gerber. Zum ersten Mal habe es im Konfirmationslager kahl Geschorene gegeben. Die vorwiegend männlichen Jugendlichen zeigten dem Pfarrer stolz das aufgenähte Abzeichen des «Nationalen Widerstands». Das war schätzungsweise im Jahr 2000. (Pascal Lüthard wohnt heute in Glashütten AG, ist Berner Stützpunktleiter der Pnos.)

Angst

2001 fehlten auf dem Roggwiler Maibaum erstmals die ausländisch klingenden Namensschilder. 2002, 2004 und 2005 auch. Der Pfarrer wurde von «etwa zehn Typen vor meiner Haustür verbal massiv bedroht», weil er 2001 eine «gekreuzigte Schweizer Fahne vom Maibaum vor der Kirche» eigenhändig runtergeholt hatte.

«Klar, so etwas macht schon unsicher, ich wusste ein Jahr lang nicht, wann und wo ich angegriffen werde», so Gerber. Und die Gemeinde? «Die schaute weg», sagt er. Danach wurde der Pfarrer von den Roggwilern manchmal nicht mehr gegrüsst. Vorher immer. Richtig Angst aber machten dann die beiden Aufmärsche, nachts, durch die Strassen Roggwils. Einer vor etwa vier Jahren, der andere vor etwa zwei. «In Springerstiefeln, mit Fackeln in der Hand, marschierten sie im Gleichschritt, skandierten ‹Hier marschiert der nationale Widerstand› und ‹Heil Hitler›», sagt Gerber. Wie viele waren es? Zehn, zwölf? «Nein. Es war ein regelrechter Menschenzug.»

Ein Dorf – eine Haltung?

Als der «Roggwiler Maibaum» in diesem Jahr national in die Schlagzeilen gerät, handelt der Gemeinderat und erlässt für den Maibaum 2006 klare Richtlinien. Und trotzdem: Man ist noch immer der Meinung, dass dies alles «von den Medien völlig aufgebauscht wird. Das sind Lausbubenstreiche, mehr nicht», sagt etwa Gemeindepräsident Erhard Grütter (FDP) im Juni diesen Jahres gegenüber dieser Zeitung.

Ein Dorf, eine Haltung? Nicht ganz. Denn nun hat sich die «Roggwiler Erklärung» formiert (siehe Kasten links). Das Schweigen ist gebrochen. Ein paar Roggwiler haben publik gemacht, was man lange Jahre nicht wahrhaben wollte: Rechtsextremismus und Gewalt ist ein Problem. Man hat darüber geredet – aber wie gehts weiter? «Die ‹Roggwiler Erklärung› ist eine gute Sache», sagt Gemeindepräsident Erhard Grütter. Doch müsse sie breiter angegangen werden. «Nur ein verschwindend kleiner Teil der Jugendlichen ist rechtsextrem, wenn überhaupt», so Grütter. Und: «Die meisten Rechtsextremen, die sich an irgendwelchen Anlässen hier aufhalten, gehören zur Pnos-Szene und wohnen anderswo.» Gewalt an sich sei ein Problem, egal ob von links, rechts oder ohne politische Färbung. «Das müssen wir thematisieren, dem müssen wir entgegentreten», so Grütter. Gemeinsam mit der «Roggwiler Erklärung» will der Gemeinderat nun die nächsten Anlässe organisieren. Pfarrer Hans Gerber ist erst mal froh, dass das Ganze «nun nicht mehr nur Kirchenangelegenheit ist». Von den offiziellen Stellen will er sich überraschen lassen. Gerber sagt: «Ich erwarte nicht viel. Denn es gibt quer durch alle Parteien tendenziell rechte Strömungen.»

 

Quelle: Berner Zeitung 09.11.2005