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Wie Tuvia Tenenbom Neonazis narrte
Sonntag, den 11. Dezember 2011 um 17:40 Uhr
Ein US-Autor hat im «Club 88» gelernt, woran man Juden erkennt. Das Besondere: Er ist selbst einer.
Tuvia Tenenbom alias «Arier Tobias» (rechts) mit Frank: Augenscheinlich mochte der «Club 88»-Besitzer seinen amerikanischen Besucher (Bild: Isi Tenenbom).
Tuvia Tenenbom hat einen Coup gelandet: Der amerikanische Autor und Theaterregisseur war in Deutschland zu Gast im «Club 88» in Neumünster. Die Zahl steht dabei für HH, also Heil Hitler: Die Kaschemme in der trostlosen Stadt Neumünster ist seit Jahrzehnten der Anlaufpunkt für Neonazis in Norddeutschland. Der Jude gab sich dort als Sohn deutscher Auswanderer aus, der nach seinen arischen Wurzeln forscht - und gewann damit umgehend das Vertrauen des braunen Barbesitzers.
Frank erklärte ihm laut «Jüdischer Allgemeine» voller Überzeugung, wie die Juden Kinder fressen, die Welt beherrschen und dieselbe glauben lassen, es habe einen Holocaust gegeben. «Man braucht 72 Minuten, um einen Menschen zu vergasen und zu verbrennen», meint Frank. Und dass es Millionen von Juden in Deutschland gebe. Auf Nachfrage präzisiert er: «Mindestens eine Million.» Man sollte sie alle umbringen, findet Frank. Sie seien einfach zu erkennen: «Juden haben andere Frisuren.» Auch 9/11 gehe auf ihre Kappe.
«Ich war der verlorene Sohn, der zurückgekehrt ist», erklärt der Journalist die Tatsache, dass Frank keinen Verdacht schöpfte. «Er hat mich wie einen Bruder behandelt.» Wie aber konnte der gebürtige Israeli ruhig bleiben, als Juden beschimpft und der Holocaust geleugnet wurde? «Es gibt Momente, in denen du denkst: O Gott! Aber du darfst nichts davon zeigen. Du musst mitspielen, einen Schalter im Kopf umlegen und dir selbst glauben, dass du ein Neonazi bist. Erst wenn du dich in die Gedanken des anderen hineinversetzt, kannst du eine Geschichte verstehen. Du musst sogar deine Feinde mögen. Ich habe Frank echt gemocht. Er hat mir sein Vertrauen geschenkt und alles erzählt.»
Shoa leugnen, aber allen Juden den Tod wünschen
Einerseits leugnete Frank die Shoa, andererseits trällerte er bei Tenenboms Visite ein KZ-Lied. Ein Widerspruch? «Als Menschen haben wir die Fähigkeit, die Realität zu verdrehen, damit sie in unser Weltbild passt. Die Philosophie dahinter ist: Meine Meinung steht fest, belästige mich nicht mit den Tatsachen. Auf der einen Seite kannst du als Nazi nicht sagen, dass wir sechs Millionen Juden getötet haben. Und auf der anderen Seite sagst du: Yeah, das war gut. Es ist ein Paradox und gleichzeitig menschlich. Fakten haben nun mal nichts mit Emotionen zu tun.»
Die Idee für die Aktion kam Tenenbom, als er in einem Kulturzentrum in Hamburg über Nazis diskutierte. «Ich fragte: ‹Wo sind die Nazis?› Die Antwort war: ‹Hier im Norden gibt es keine. Die sind im Osten oder in Österreich›», erzählt uns der Wahl-New-Yorker. Er mochte nicht glauben, was er da hörte und machte einen Abstecher nach Neumünster, wo er die Dart-Kneipe «Titanic» und den «Club 88» besuchte. «Es hat mich einen läppischen Nachmittag gekostet, um auf zwei Neonazi-Clubs zu stossen. Und das Beängstigende ist, dass die Verherrlichung des Nationalsozialismus und das Leugnen des Holocaust in Deutschland eigentlich verboten sind.»
Peinlicher Rückzieher von Rowohlt
Dass es den deutschen Behörden so schwer gefallen ist, die Gefahr von Rechts zu erkennen, kann der Amerikaner nach seiner eigenen Recherche nicht nachvollziehen. Zumal er plötzlich Ärger mit dem Rowohlt-Verlag bekam, der ihn nach Europa geholt hatte, um ein Buch zu schreiben. «Als ich diese Geschichte geschrieben habe, drehte der Boss durch, obwohl man vermuten sollte, dass Alexander Fest aus gutem Hause kommt.» Der Unternehmer ist Sohn des bekannten Historikers und Hitler-Biographen Joachim Fest. «Am Anfang sagte er mit, das sei illegal», so Tenenbom. «Weil ich mich nicht mit richtigem Namen vorgestellt habe und nicht sagte, dass ich Jude sei.»
Tenenbom hat auch schon in Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten oder Jordanien undercover recherchiert. «Ich habe dort nie erzählt, dass ich jüdisch bin. Als ich einmal jemanden fragte, was er tun würde, wenn ich Jude sei, sagte er: ‹Ich würde dich sofort töten!›»Doch auch nachdem Anwälte klarstellten, dass es juristisch keine Probleme gebe, lenkte Alexander Fest nicht ein. «Das ist nicht gut», so die Begründung. Nun wird «I Sleep in Hitlers Room: An American Jew Visits Germany» bei Suhrkamp erscheinen. Die für 2012 geplante Übersetzung wird «Alleine unter Deutschen» heissen und enthält Interviews mit so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt und Helge Schneider.
Quelle: 20minuten.ch