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RU: Interview - Die Freundin eines ermordeten Antifas erzählt

Katya ist 21 Jahre alt, ein Renee (Skingirl) und war die Freundin von Feodor Filatov.
Feodor Filatov war einer der Gründer der antifaschistischen und antirassistischen Moscow Trojan Skins. Einer Minorität in Moskaus Skinhead-Szene. Vor einem Jahr, am 10. Oktober 2008, wurde er von vier Unbekannten vor seiner Wohnung erstochen. Die russischen AntifaschistInnen gehen davon aus, dass Feodor gezielt von einer der zahlreichen Nazibanden ermordet wurde.

k
 
Da die linke Szene und auch die antirassistischen und antifaschistischen Skinheads und -girls in Moskaus über keinerlei Gebäude und Projekte als Treffpunkte verfügen, fand das Interview in einem Park statt. Einen der wenigen Orte in Moskau, wo sich keine Nazis hin trauen, da sie dort von Antifas und antifaschistischen Skins sofort angegriffen würden. So wundert es auch nicht, dass man in diesem Park viele MigrantInnen antrifft, da sie diesen Park auch als Schutzraum für sich empfinden.



(Wir weisen darauf hin, dass wegen der Übersetzung das gesprochene Wort etwas „eingedeutscht“ wurde. Ein besonderer Dank gilt noch einmal unserem russischen Übersetzer. Auch wegen seinem vorzüglichen Borsch.)

Wir haben uns bei der Niederschrift auf das Gesagte konzentriert. Durch den hier wiedergegebenen Text werden die emotionalen Reaktionen von Katya in keiner Weise widergespiegelt.)

Azzoncao: Wir möchten uns erst einmal vorstellen. Wie haben vor ca zwei Jahren angefangen international zu arbeiten. Ein Projekt der Erinnerungsarbeit zu ermordeten AntifaschistInnen begonnen. Es heißt Proyecto Memoria. Dafür haben wir mit Freunden und Verwandten von ermordeten Antifaschisten.in Spanien und Italien Interviews gemacht. Ende letzten Jahres machten wir innerhalb des Projekts ein Graffiti und produzierten einen Film dazu.


Katya: Ich kenne das Graffiti.

Azzoncao: Den Film kann man im Internet in sechs verschiedenen Sprachen sehen. In den letzten Wochen ist diese Website über 10000 mal angeklickt worden und mehr als 6000 Personen aus allen möglichen Ländern haben sich diesen Film herunter geladen. Von Argentinien bis Israel, von Russland bis Spanien.


Katya: Oh, das wusste ich nicht. Ich werde ihn mir anschauen.

Azzoncao: Wir freuen uns, dass Du bereit bist mit uns das Interview zu führen. Die Mutter von Feodor hat leider abgesagt. Kannst Du uns vielleicht sagen warum?

Katya: Es fällt Feodors Mutter nicht leicht darüber zu sprechen. Es ist ein schwieriges Thema für sie. Die Familie von Feodor zieht zur Zeit in eine andere Wohnung um. Der Mord hat ja vor ihrem Haus, vor ihrem Fenster stattgefunden. Es fällt der Familie schwer dort weiter zu leben.

Azzoncao: Wenn einige Fragen von uns ungeschliffen oder unhöflich erscheinen, so bitten wir das zu entschuldigen. Wir möchten das nicht sein. Aber wir wissen manchmal nicht genau, wie wir fragen können.

Kannst Du etwas mehr zu deiner Person erzählen?

Katya: Persönlich?

Azzoncao: Ja. Aber vielleicht auch zu den Moscow Trojan Skins. Du trägst ja gerade ein T-Shirt von ihnen.

Katya: Ich habe Mitglieder von den Trojan Skins 2004 auf einem Konzert kennen gelernt. Damals begann ich Punk-Konzerte zu besuchen. Diese Zeit war die Zeit der Gründungsphase der Moscow Trojan Skins. Das waren ganz junge Leute, die zu diesen Konzerten kamen. Sie alle waren gegen den Faschismus und beschlossen die Moscow Trojan Skins zu gründen. Zu der Zeit lernte ich sie kennen. Und auf einem Konzert dann auch Feodor.

Azzoncao: Wer sind die Moscow Trojan Skins?


Katya (lacht): Ein großer Freundeskreis, in dem alle etwas gegen Faschismus und Nazis haben. Sie alle wollten etwas unternehmen. Und das auch mit Gewalt auf der Straße. Sie hatten die Situation satt und wollten die Nazis von den Moskauer Straßen verjagen. So gründeten sie die MTS, Moscow Trojan Skins oder auch Moskau-Traditional-Skins.

Azzoncao: Wir müssen noch einmal sagen, dass bei uns in Deutschland sehr wenig bekannt ist über die antifaschistische Szene in Russland und auch in Moskau. Deswegen kommen Dir sicherlich einige Fragen von uns komisch vor. Sorry.

Katya: Ok.

Azzoncao: Wie groß sind die Moskau-Trojan-Skins?

Katya: Im Moment ist die Organisation nicht so geformt und die Zahl ist immer flexibel.

Die Leute kommen und gehen und es ist schwer zu sagen wie groß die MTS sind. Wir haben Nichts mit politischen Gruppen oder Parteien zu tuen. Wir sind eine Straßenbewegung. Und so ist unsere Zahl immer flexibel. Es ist sehr einfach. Den MTS gefiel die Situation auf Moskaus Straßen nicht und sie wollten mit militanten Mitteln dagegen vorgehen. Mehr nicht. Sie sind keine Partei und keine politische Bewegung.

Azzoncao: Und Feodor war bei den MTS einer der maßgeblichen Organisatoren?

Katya: Ja, das kann man so sagen. Er war eine Person, der sich durch seine Taten den Respekt aller verdient gemacht hatte. Er war der Erste, wenn es galt bei Problemen zu helfen. Er war sozusagen immer in der ersten Reihe. Von der Gründung an, bis zur letzten Zeit. Er war einer derjenigen, die man in den Moscow Trojan Skins am meisten achtete. Offiziell als Gründer oder Anführer kann man ihn aber nicht bezeichnen.

Azzoncao: Aber darüber zog er sich die Feindschaft der Nazis zu?

Katya: Ja. Er war einer der Ersten oder vielleicht auch der Erste, der sich ganz offen als aktiver Antifaschist erklärte. Im Internet und auch auf der Straße. Das war die Zeit, als die antifaschistische Meinung und Bewegung nicht verbreitet und nicht populär war. Das war gefährlich. Die Jugendbewegung war extrem rechts. Und Skinhead stand immer für Nazis, für Nazi-Skinheads. Und er war der Erste der sich als antifaschistisch aktiver Skinhead erklärte.

Azzoncao: Gab es schon vorher Bedrohungen von Feodor und wusste er von der Gefahr?

Bei uns konnte man lesen, er hätte sich darüber geäußert, dass er sich ausspioniert fühlte.

Katya: Nein, direkte Bedrohungen hat er nicht bekommen.

Azzoncao: War also der Angriff nicht voraussehbar?

Katya: In der letzten Zeit hat er Befürchtungen geäußert, dass ihm jemand folgen würde. Er wollte in eine andere Wohnung umziehen. Bzw. wir suchten eine Wohnung, um zusammen zu leben. Er sagte, dass er sich in seiner Wohnung nicht mehr sicher fühlte. Dass er befürchtete, ausspioniert und angegriffen zu werden. Direkte Drohungen hat er aber nicht bekommen.

Azzoncao: Kannst Du uns erzählen, was an dem Tag des Mordes passierte?

Katya (räuspert sich): Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen. Um acht Uhr verließ er seine Wohnung, um zur Arbeit zu gehen. Er musste über eine Straße gehen, weil auf der anderen Seite sein Scooter auf einem Parkplatz stand. Dort haben ihn vier Männer mit Messern angegriffen.

Seine Mutter und seine Schwester hörten Lärm auf der Straße und gingen zum Fenster. Zuerst dachten sie, dass Feodor verprügelt würde. Sie liefen ganz schnell auf die Straße. Feodor lag auf dem Boden und als sie ihn erreichten, war er schon fast tot. Er war noch am leben, aber er hatte über die Messerstiche sehr viel Blut verloren.

Azzoncao: Wie alt war seine Schwester?

Kathya: 31 Jahre alt. Feodor hatte auch einen Neffen. Er ist drei Jahre alt.

Azzoncao: Konnte Feodor noch etwas sagen?

Kathya: Das Einzige was er sagen konnte, war, dass man ihn ins Krankenhaus bringen solle, da er sich sehr schlecht fühle.

Hier legten wir einige Minuten Pause beim Interview ein, da es Katya beim Erzählen sichtbar nicht gut ging. Und wir auch Zeit brauchten unsere Gefühle zu verarbeiten.

Azzoncao: Wie war die öffentliche Reaktion in den Zeitungen, den Medien, usw.?

Kathya: Alle große Internetmedien haben darüber geschrieben und im Fernsehen gab es einen Beitrag.

Azzoncao: In welchem Tenor wurde berichtet? Wie wurde dieser Mord dar gestellt?

Kathya: Es wurde dar gestellt als ein Mord an einem Anführer der antifaschistischen Bewegung von Moskau.

Azzoncao: Sind die Nazis erkannt worden? Sind sie verhaftet worden? Bestraft worden?

Kathya: Nein. Man weiß nicht, wer es war. Ich gehe jetzt immer noch zur Polizei, um mich zu erkundigen. Aber es bringt Nichts. Es ist unbekannt, wer es war.

Azzoncao: Untersucht die Polizei den Fall?

Kathya: Sie wahren den Schein. Aber in Wirklichkeit untersuchen sie den Fall nicht. Sie wiederholen immer wieder dieselben Fakten, aber untersuchen tun sie Nichts. 

Azzoncao: Es ist doch sehr merkwürdig, wenn am helllichten Tag auf der Straße ein Mensch von vier Tätern erstochen wird und die Polizei keinen der Täter ermitteln kann.

Kathya: Natürlich gab es auch Zeugen. Aber alle sagen, sie hätten Nichts gesehen. Sie haben Angst. Wir haben Nichts gesehen, wir wissen Nichts, lasst uns in Ruhe, dass sagen alle die Zeugen. Die Nachbarn und andere Leute.

Azzoncao: Welche Reaktionen gab es von Seiten der antifaschistischen Szene?


Kathya: Die Leute waren sehr schockiert. Viele Leute begriffen über den Mord, auf was sie sich da eingelassen haben, und haben die Szene verlassen. Sie bekamen Angst. Vorher hatten sie nicht verstanden, in welcher Szene sie sich aufhielten. Aber die anderen waren sehr solidarisch, sammelten Geld für die Familie, usw.

Azzoncao: Gab es Demonstrationen?

Kathya: Es tut mir leid, ich kann mich jetzt nicht gut erinnern. Vielleicht.

Der Übersetzer: Zu diesem Thema gab es schon mehrere Demonstrationen. Mit dem Tenor, weg mit der faschistischen Gewalt. Aber eigentlich bringen diese Demonstrationen Nichts.

Azzoncao: Der Mord ist jetzt elf Monate her, fast ein Jahr. So sind alle Erinnerungen noch sehr frisch.

Kathya: Ja, es ist sehr schwer dies zu durchleben. Es ist sehr schwer. Und das obwohl schon fast ein Jahr vergangen ist.

Azzoncao: Kannst Du uns erzählen wie Feodor als Mensch war?

Kathya: Er hatte einen starken Charakter. Man könnte sagen eine Führungspersönlichkeit. Ansonsten war er ein ganz gewöhnlicher Mensch. Es gibt da Nichts Besonderes zu erzählen.

Er war immer sehr lustig und unternehmungsfreudig. Er war sehr beliebt, weil er immer neue Ideen hatte, wie man zusammen die Zeit verbringen konnte. Er gab ein Beispiel aus seinem Leben etwas Interessantes zu machen. Aber trotzdem war er ein Mann mit einem ganz strengen und harten Charakter. Er hatte seine Prinzipien, die er nie verletzte und folgte ihnen streng. Er war ein normaler sowjetischer junger Mann. Er liebte seine Freunde und machte viel für sie. Deswegen wurde er geachtet. Er war eine starke Person und gab ein Beispiel, weil er immer sein Wort hielt und seinen Prinzipien folgte.

Der Mord an ihm war natürlich ein Schock für alle.

Azzoncao: Wie sieht es jetzt aus in der Moskau-Trojan-Skin Szene?

Kathya: Es gibt viele Probleme. Zum einen gingen einige Personen. Und es kamen ganz viele junge Leute zu uns. Sie möchten etwas machen. Aber es gibt zur Zeit niemanden, der eine maßgebliche Rolle spielt, den Leuten ein Beispiel geben kann, in dem er Ideen hat,Versammlungen organisiert und die Richtung vorgibt. Momentan gibt es niemanden. Die Leute sind zersplittert und nicht so vereint durch starke Personen. Die Einen machen Dies, die Anderen machen Das. Es fehlt die Einheit. Und auch starke Personen. Deswegen hat die Szene Probleme.

Azzoncao: Möchtest Du noch etwas erzählen, was wir vergessen haben zu fragen?

Kathya: Feodor hat immer gesagt, dass er irgendwann getötet wird. Er hat das oft gesagt. Es ist gefährlich was ich mache, einmal wird dies ein böses Ende haben. Aber er selbst hat nicht daran geglaubt. Wenn er wirklich die Gefahr gesehen hätte, hätte er seine Tätigkeit mit Sicherheit vorsichtiger, anders, gestaltet.

In der letzten Zeit wollte er eigentlich mehr ein normales Leben führen. Er hatte auch an eine Familiengründung gedacht.

Azzoncao: Möchtest Du noch den deutschen AntifaschistInnen und den deutschen Skinheads, den RASHs, etwas sagen?

Kathya: Ich weiß eigentlich nicht, was ich sagen soll. Ich war in Deutschland und ich habe gesehen, was es bedeutet ein RASH- Skinhead in Deutschland zu sein. Sie haben das Outfit eines Skinheads und trinken Bier. Sonst Nichts. Hier ist eine andere Situation und ich weiß wirklich nicht, was ich einem deutschen RASH-Skinhead sagen kann. Dort ist es ganz normal ein Skinhead zu sein. Aber bei uns ist es gefährlich. Alle hassen Skinheads. Fast alle Jugendszenen sind gegen die Antifa und wollen sich mit uns prügeln. Antifa zu sein bedeutet keinen guten Ruf zu haben.

Azzoncao: Deiner Einschätzung nach bedeutet es etwas in Russland ein Antifaschist oder RASH-Skinhead zu sein. Aber in Deutschland scheint dies nicht ernst genommen zu werden? Eine Art Mode zu sein?

Kathya: Ja. Nimmst Du mir das jetzt übel?

Azzoncao (haha): Nein, nein, wir meinen das auch!

Kathya und der Übersetzer: haha

Azzoncao: Nur einige Leute, die dies Interview lesen werden, werden nicht glücklich sein, dies zu lesen. Sie halten sich für Helden.

Kathya: Haha, also wenn sie sich als Helden fühlen, herzlich Willkommen in Moskau. Haha.

Azzoncao: Also wenn das mal nicht ein schönes Schlusswort ist.

Vielen Dank für das Interview.



Nach dem Interview setzten wir uns noch in einem nahe gelegenen Cafè zusammen. Katya erzählte uns, dass die Mutter und die Schwester von Feodor allein mit ihrer Trauer wären. Sie hätte viele FreundInnen. Aber wenn sie dann allein wäre, würde es ihr auch schlecht gehen. Sie hätte in der letzten Zeit öfters den Gedanken, dass das Leben wichtiger sei als der Kampf. Das Leben der GenossInnen. Aber dann wäre es auch wieder ganz anders und sie wolle kämpfen. Hier sei das Leben, dass eines Kamikaze-Fliegers. Du wüsstest am Morgen nicht, wie der Tag endet. Sie alle seien bewaffnet. Sie sei vor einiger Zeit in Paris gewesen. Dort hätten ihr RASH-Skins einen Naziladen gezeigt. Sie hätte sich gewundert. In Moskau hätten sie den Thor Steinar Laden angezündet. Dort in Paris würde nichts passieren und die Skins hätten bei einer Nachfrage bezüglich Angriffe, gesagt, die Metro sei nicht weit, man könne dahin fliehen. Katya zeigte sich sehr enttäuscht von der RASH-Szene in Westeuropa.

Es wurde auch angesprochen, dass es Zweifel daran gäbe, dass Nazis den Mord begangen hätten. Die schleppenden und erfolglosen polizeilichen Ermittlungen ließen den Verdacht aufkommen, dass dies eine Geheimdienstaktion war. Aber das sein nur ein vager Verdacht.

Auf Nachfrage, was sie mache, erzählte sie uns, dass sie selbst versucht in Moskau ein kleines Label zu betreiben

Nach dem Cafe gingen wir noch einmal in den Park zurück. Dort hielten sich an diesem Sonntag Abend noch ca. 10 bis 15 Skins und Renees auf. Sie meinten zu uns, dass sie sonst immer mehr seien. Aber morgen müssten halt die Meisten zur Arbeit und wir sollten ja nicht denken, sie seien so wenige.

Am 17. September zeigten wir unseren Film „uno di noi“ in einem Moskauer Club, wo laut unserer Genossen die „Hippies“ „das Sagen“ haben. Dort begegneten wir Katya wieder. Insgesamt waren fast 40 Antifas anwesend. Vorwiegend RASH- und SHARP- Skinheads und Renees.

Zunächst drehte sich die Debatte um antifaschistische Militanz und die einzusetzenden Waffen. Allgemein traute man den deutschen Antifas in dieser Hinsicht Wenig bis Nichts zu. Zeigte sich aber sehr interessiert bei dem weiteren Vortrag über Strukturen wie Zeitungen, Archive, Recherche, etc.p.p..

Verblüfft zeigten wir uns wiederrum, als wir über die anarchistische Guerilla Westdeustchlands aus den 70ziger Jahren, dem „2.Juni“, befragt wurden. Ob wir uns vorstellen könnten, dass bewaffnete anarchistische Politik in Deutschland eine Perspektive hätte.

Moscow Trojan Skins

Filmdokumentation zu Russland

Film „uno di noi – einer von uns“ zum Antifa-Graffiti in Bochum

Quelle: Azzoncao / indymedia linksunten

mts