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"Kleiner Ausnahmezustand"

Bundesgerichts-Entscheid betreffend 1. August 2006 in Brunnen SZ vom 4. September 2006 (eröffnet am 23. September 2006)

Das Bundesgericht deutet die Verweigerung der Bewilligung
für eine antifaschistische Kundgebung in ein allgemeines Demoverbot um. Es gibt Rügen für die Schwyzer Behörden,
doch der „kleine Ausnahmezustand“ wird zum Vorwand für Freiheitsbeschränkungen
 
Bündnis für ein buntes Brunnen



Am 30. Januar 2006 hat der Gemeinderat von Ingenbohl der am 1. August 2006 vorgesehenen antifaschistischen Platzkundgebung mit multikulturellem Strassenfest in Brunnen SZ die Bewilligung verweigert. Diesen Entscheid zog
das Bündnis für ein buntes Brunnen weiter. Doch auch das Schwyzer Verwaltungsgericht wollte am ersten August in Brunnen keinen Protest gegen
den Auftritt von Neonazis (VGE 818/06 vom 24. Mai 2006). Die darauf erhobene staatsrechtliche Beschwerde hat das Bundesgericht nun nachträglich abgewiesen (BGE 1P.396/2006 vom 4. September 2004, gestern eröffnet).


Das Bundesgericht weist die Ansicht der Schwyzer Behörden zurück, eine Bewilligung dürfe an bestimmten Tagen wie dem ersten August oder wenn kein Bezug zu Brunnen besteht umso eher verweigert werden. Ebenso sei die Befürchtung, Rechtsextreme könnten die Kundgebung angreifen, kein Grund, die Bewilligung nicht zu erteilen. Im Übrigen sei eine Kundgebung, die sich als klarer Gegenpol gegen rechtsextreme Auftritte verstehe, ohne weiteres zulässig.
Die Schwyzer Behörden werden auch kritisiert, weil „der klare politische Wille, einen Aufmarsch rechtsextremer Kreise in Brunnen zu verhindern“, durch sie im Vorjahr 2005 „nicht umgesetzt worden ist“.

Diese Feststellungen sind für antifaschistische Aktionen in Zukunft gewiss nicht ohne Wert, und eigentlich entzieht diese Zurückweisung der hauptsächlichen Vorwände für die Verweigerung der Bewilligung den Schwyzer Behörden die Grundlage für ihren Entscheid.


Den Konsequenzen dieser Argumentation geht das Bundesgericht nun dadurch
aus dem Weg, dass es die Verweigerung der Bewilligung in ein für alle geltendes Kundgebungsverbot umdeutet: „Das Verbot des ‚antifaschistischen
Strassenfestes’ hat vielmehr die Bedeutung eines generellen politischen Manifestationsverbotes“. Ein solches sei zulässig, wenn eine „ernsthafte
und konkrete Gefahr von gewaltsamen Ausschreitungen bei einem Zusammentreffen“ von Rechtsextremen und Kundgebungsteilnehmern bestehe (auch das hohe Bundesgericht glaubt den Analysen des Inlandgeheimdienstes DAP recht blind) und noch dazu „enge örtliche Verhältnisse“ bestünden und „der Besuch von Tausenden von Besuchern anlässlich der 1. August-Feiern“ bevorstehe.
Damit wandelt das Bundesgericht die Verweigerung der Bewilligung in die Ausrufung eines kleinen Ausnahmezustandes um: „Bei konkreter Gefahr von gewaltsamen Tumulten und Sachbeschädigungen fallen ausserordentliche Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Betracht.“

Dazu ist nicht viel zu sagen, ausser dass sich letztere Aussage des Bundesgerichts auch gegen den Strich lesen lässt: Sieht es danach aus, dass die Behörde konkrete Gefahr von gewaltsamen Tumulten und Sachbeschädigungen behaupten möchte, um die Demonstrationsfreiheit ausserordentlich einzuschränken, so hat es wohl keinen Sinn, eben diese Behörde mit Bewilligungsgesuchen zu behelligen.


War es das, was das Bundesgericht wollte? An der Wahrnehmung unserer Grundrechte, und dazu gehört auch das Recht, faschistischen Umtrieben entgegenzutreten, wird uns auch eine solche Rechtsprechung jedenfalls schwerlich hindern.



Bündnis für ein buntes Brunnen



24. September 2006