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Aus dem Dunkel ans Licht
Mittwoch, den 29. März 2006 um 12:30 Uhr
Berns Antifas stellen sich erstmals unvermummt kritischen Fragen «bürgerlicher Presse»
Erstmals nach acht Jahren im Untergrund hat Berns Antifa-Bündnis zaghaft einen Schritt aus dem Dunkel ans Licht der Öffentlichkeit riskiert: Unvermummt empfingen drei Delegierte den «Bund». Sie gewährten Einblicke in ihre Strategie für Berns brenzligen Demo-Samstag.
«Na gut, das war vielleicht schon ein wenig provokativ»,
sagen Berns Antifas heute. / zvg
Für sie sei dieser Schritt gewagt, denn wer garantiere ihnen schon, dass der «Bund» ihre Namen nicht am Ende gar dem Staatsschutz zustecke, meinen sie – und lassen erkennen, dass sie diese Furcht allen Ernstes plagt. So wie sie – laut aktuellem Internet-Traktat des BAgR – durchaus ernsthaft glauben, dass sich Polizei, «systemtreue» Presse und «reaktionäre Parteien», ja im Zweifelsfall auch «die Staatslinke», in «einträchtiger Hetze» gegen sie verbündet hätten; «weil es sie stört, dass wir sie als Teil des Problems erkannt haben», und «weil sie unsere radikale Gesellschaftskritik stört».
«Spaziergang» im Nordquartier?
Keine Frage daher, dass sie am «Antifa-Abendspaziergang» kommenden Samstag unbewilligt marschieren würden – denn mit «Bullen» und Behörden gebe es keinen Dialog, und Meinungsäusserung bedürfe der Bewilligung nicht. Was nicht heisse, dass sie stur und verantwortungslos sehenden Auges in eine Eskalation rennen würden – ganz im Gegenteil sogar: Sie wollten «De-Eskalation», seien bereit, hierfür Maximalpositionen aufzugeben, Berns Polizei einen Schritt entgegenzukommen. Polizeikommandant Daniel Blumer hatte letzte Woche den Tarif durchgegeben: «Ohne klare Vereinbarung wird es keine Demo in der Innenstadt geben.» Darauf antworten die Antifas nun mit einem Schachzug, der beiden Seiten eine Kompromisseinigung ohne Gesichtsverluste erlauben soll. So will die Antifa von sich aus weitgehend auf Innenstadt-Präsenz verzichten, ins Nordquartier ausweichen – in der Annahme, es damit Berns Polizei zu ermöglichen, ihren «Abendspaziergang» auch unbewilligt laufen zu lassen.
Seilziehen bis zur letzten Minute
Stapo-Infochef Franz Märki bestätigt den Eingang einer E-Mail, in dem das BAgR erklärt, via Spitalgasse, Zeughausgasse und Kornhausplatz über die Aarebrücke und von dort via Breitenrain und Lorraine zur Reitschule ziehen zu wollen. Die Polizei macht den Antifas indes wenig Hoffnungen, dass darauf eingegangen werde. «Es ist dies keine vorgeschlagene, ja schon gar keine ausgehandelte Route mit der Vereinbarung von klaren Regeln», so Märki gestern auf Anfrage. «Und das ist natürlich auch kein Dialog.»
Dies wiederum ficht die Antifas nicht an: Sie setzen im Seilziehen auf Erfolg in letzter Minute – dank demselben Kalkül, das sich für sie schon letztes Jahr bewährt hat: Im buchstäblich letzten Moment erst, vor Ort, als sich Polizeigrenadiere und behelmte Autonome drohend gegenüberstanden, verständigten sich Stadtpolizei-Offiziere und Antifa-Vermummte auf einen Modus operandi – und die Menge konnte unbewilligt auf einer Route durchs Länggassquartier demonstrieren.
Neonazi-Aufmarsch drohe nicht
Und wenn die Polizei ihre Demo diesmal nicht laufen lässt? – Auch für den Fall einer Einkesselung seien sie vorbereitet; wie, das könnten sie aber nicht verraten, so die drei. Jedoch, nur die Ruhe! Selten werde so heiss gegessen wie gekocht – sie jedenfalls hätten das Gefühl, dass es gut kommen werde; die Zeichen stünden auf Deeskalation. Dies umso mehr, als der in einigen Medien aufgebauschte Aufruf zu einer Gegendemonstration am gleichen Abend nicht ernst zu nehmen sei; kein einziges Rechtsradikalen-Forum liefere Anhaltspunkte für eine solche Mobilisierung, auch werde ein einschlägiges Konzert in Zürich die rechte Szene stark absorbieren.
Und zweitens, beteuert das Trio, werde der aus der Autonomenszene rekrutierte «Demoschutz» Ordnerfunktion wahrnehmen, um ihre Kundgebung gegen Provokateure auch von innen zu schützen, etwa auch unsichere Kantonisten im Zaum zu halten. Auch werde für alle Fälle eine Demo-eigene Sanität im Einsatz stehen, versichern sie.
Nur keine Bange, besorgte Eltern
Als Veranstalter fühlten sie sich sehr wohl verantwortlich – gerade auch für die vielen sehr jungen Teilnehmenden. Seit Jahren mahnten sie Jugendliche, strikt nüchtern zu erscheinen, und auffällige, verängstigte und hilfebedürftige Teenies würden gut betreut – und wo Aktivisten überfordert seien, rufe man natürlich professionelle Hilfe. Sie wüssten, dass dieser Tage zahlreiche Eltern, deren Halbwüchsige an den «Abendspaziergang» wollten, in Sorge seien – diesen Eltern würden sie raten, diesen Wunsch ernst zu nehmen, jedoch zu fragen, warum das Kind an die Demo wolle. Dies übrigens liege im Interesse der Antifa, denn diese sei interessiert an Teilnehmenden, die für die Inhalte stünden, nicht an solchen, die es «einfach geil» fänden. Antifa wolle kritische Menschen, die handeln, hier und jetzt. Übrigens seien auch Eltern herzlich eingeladen.
Friedensflöten – Gewaltphrasen
Hört, hört – da flöten Antifa-Autonome, dass man schier meinen könnte, der «Abendspaziergang» werde von einer Kirchenjungschar organisiert. Und ja, zumindest den dreien im «Du Nord» ist man hehre ethische Werte abzukaufen bereit; ihr Idealismus wirkt nicht aufgesetzt, und sie, die sich in BAgR-Mission sonst vermummen, machen Auge in Auge keineswegs den Eindruck abgebrühter Schwarzblock-Zyniker, sondern den von sensiblen Menschen mit grossem Ernst.
Das tut wohl. Allein, wie verträgt sich dies mit der militanzverherrlichenden Antifa-Agitation und der entsprechend flexiblen Handhabung der «Gewaltfrage»? Mit der an Guerillero-Ästhetik gemahnenden «Videobotschaft» aus dem Untergrund etwa, die Anfang März Bern irritierte (siehe Bild)? Mit Kampfparolen wie «Antifa heisst Angriff» oder «Seit Auschwitz ist antifaschistische Gewalt immer Notwehr» – erst recht mit dem unverhohlenen Gewaltaufruf «Bei Naziterror nicht nur wegschauen... auch mal zuhauen»? – Na ja, klären die drei auf, «Angriff» meine nur angriffige Haltung, der «Notwehr»-Slogan sei «zugegebenermassen ja schon ein wenig polemisch», solle aber gleichfalls nicht Gewalt rechtfertigen. Das «Zuhauen»-Sujet sei in der Tat «wohl etwas grob» geraten, aber immer noch nicht als Aufruf zu Angriffsgewalt gemeint. Antifas, müsse man nämlich wissen, gingen einzig zur Verteidigung gewalttätig vor. Im Übrigen komme linke Gewalt in Bern ja in letzter Zeit ohnehin nur noch selten vor.
Gewalt – von Agitation zu Aktion
Ah ja? Und was ist mit den am 24. Februar wie auch schon zuvor verübten Angriffen auf Polizisten bei der Reitschule, von denen die Polizei weitere erwartet? – Diese hätten mit ihnen wirklich rein gar nichts zu tun, sagen sie, das seien hirnlose Aktivitäten völlig unpolitischer Jugendlicher. Bei einem Coiffeur das Schaufensterglas einzuwerfen sei kaum politisch erklärbar, und bei einem fahrenden Polizeiauto die Frontscheibe zu zertrümmern sei für Insassen sehr gefährlich, so etwas fänden sie selber verwerflich, so die BAgR-«Mediendelegierten».
Und der Mob von vermummten Antifa-Schlägern, der am 17. Februar bei der Reithalle drei angebliche Rechtsradikale verprügelte? Der geht ja doch unzweifelhaft aufs Antifa-Konto, oder? – Auch dies sei keine Aktion des BAgR gewesen, wenn auch zutreffe, dass das BAgR die Täter kenne und sie decke; die Polizei werde es schwer haben, Täter zu ermitteln. Auch das BAgR sei jedoch wenig erbaut, wie diese Sache gelaufen sei: Zwar sei sonnenklar, dass Rechtsextremisten in der Reitschule keinen Platz hätten, in der Tat könne man sich aber übers Vorgehen streiten – und sie hätten denn auch Vorkehrungen getroffen, damit es künftig anders laufe.
«Linke zerstritten, seit es sie gibt»
Das auffallende Bemühen des Antifa-Trios um vertrauensbildendes Auftreten ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen Bedrängnis der Antifas zu bewerten – denn das BAgR ist im achten Jahr seines Bestehens nicht zuletzt in der Szene selber auch umstritten. Eine Beobachtung, die das Trio nicht bestreitet. Sie kämen von mehreren Seiten unter Druck, aber das seien sie gewohnt, «die Linke ist zerstritten, seit es sie gibt». Es gebe Kräfte, die das BAgR als «Weicheier» kritisierten, weil es bereits zu viele Konzessionen mache, und Leute, die es als dogmatisch-stur schmähten und für bewilligtes Demonstrieren einträten. Zudem gebe es Differenzen mit Auswärtigen: Berns «Demoschutz» etwa werde im Schwarzen Block in Zürich kritisiert, und auch in Genf sei die Demo-Kultur «weniger gemütlich als in Bern». Unter Druck stehe das BAgR aber auch, weil vieles, was es zustande bringe, nicht honoriert werde. So sei es vor drei Jahren keineswegs einfach gewesen, erfolgreich durchzusetzen, dass am «Spaziergang» nicht mehr gesprayt wurde; die Kreide-Kritzelei als «harmlose Alternative» sei indessen nicht gewürdigt worden.
Von der Freiheit, die sie meinen
Allerdings: Die Toleranz, die die Antifa-Linksradikalen für sich einfordern, lassen sie umgekehrt selber komplett vermissen, sobald es um Rechtsradikale geht. Dass man ihnen, die sie auf Bewilligung und Dialog nur höhnisch pfeifen, förmlich nachrennt und ihnen goldene Brücken baut, derweil umgekehrt eine NS-Partei wie die Pnos jahrelang landauf, landab brav Bewilligungsgesuche einreicht, aber noch nie bewilligt demonstrieren konnte, finden die drei Antifas «super». So wie sie finden, dass die Pnos von den bernischen Grossratswahlen ausgeschlossen sein sollte. Grund: Nazis seien antisemitisch, antidemokratisch und gewalttätig gegen Minderheiten – so einfach sei das.
Sie dagegen wollten Demokratie, mehr gar, «herrschaftsfreie Gesellschaft». Und so würden sie am «Abendspaziergang» nicht nur gegen Faschismus marschieren, sondern gegen Kapitalismus, Neoliberalismus, Imperialismus, Neokolonialismus, Nationalismus, Militarismus, Sexismus... und was da der üblen Ismen mehr sind. Und wann setzen sie die nun sachte begonnene Entmummung beherzt fort, wagen als Demokraten ganz normale Pressekonferenzen? – Hmm, mal sehn, antworten sie. Allein der unvermummte «Bund»-Termin sei ja doch schon «ein kleines Wunder». Man werde gescheiter nichts überstürzen. Auf «Subito»-Parolen setzen sie hier für einmal lieber nicht.
EXTRA
«Ein kleines Wunder»
Dass sie sich erstmals ungetarnt «bürgerlicher Presse» stellten, sei «ein kleines Wunder», so das Trio.
Am 22. Februar gelangte das linksautonome «Bündnis Alle gegen Rechts» (BAgR) via AnonymMail an den «Bund», um sich verlauten zu lassen. Die Redaktion antwortete, sie trete auf verdeckten Austausch mit Vermummten nicht ein, jedoch stehe einem Gespräch «Auge in Auge» nichts entgegen. Am 3. März liess das BAgR wissen, dass ein Treffen erwogen werde, und «nach langen Diskussionen» zeigte es sich am 16. März zum Gespräch mit drei seiner Leute bereit – erstmals unvermummt, darüber hinaus allerdings anonym. Der «Bund» erklärte, dies genüge nicht, zumindest der Redaktion selber müsse die Personenidentität überprüfbar bekannt sein – darunter laufe nichts. Am 23. März, wiederum «nach reiflicher Überlegung», trat das BAgR darauf ein und entsandte drei «Mediendelegierte», die am 27. März abends an einem ruhigen Tisch im Restaurant du Nord Auskunft gaben. Um sich ihrerseits gegen «Verfälschung» abzusichern, zeichneten sie das Gespräch auf Tonband auf. (rg)
Der Bund, Rudolf Gafner [29.03.06]